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Kultur: Härter als jede Festplatte

Es beginnt mit digitalem Gesäusel, das sich langsam zum Sturm auswächst.Aus den Lautsprechern gurgeln heruntergepitchte Trompeten, Echoschleifen, Ambient-Gewaber.

Es beginnt mit digitalem Gesäusel, das sich langsam zum Sturm auswächst.Aus den Lautsprechern gurgeln heruntergepitchte Trompeten, Echoschleifen, Ambient-Gewaber.Rund zehn Minuten lang.Aber die Bühne bleibt leer.Nur der Teppich unter der Snare-Drum schrummelt ein wenig.Dann entwickeln sich die Soundflächen zu einer düsteren Klangfarbe zwischen Didgeridoo und Nebelhorn.Fanfare für einen Trompeter aus dem hohen Norden: Nils Petter Molvaer.

Dem Norweger ist das Kunststück gelungen, beim renommierten Münchner Jazz-Label ECM ein Album zu veröffentlichen, das allem widersprach, was bislang in der "Edition of Contemporary Music" veröffentlicht wurde.Bei Molvaer perlen nicht das Piano eines Keith Jarrett oder die Gitarre von Ralph Towner.Sein diffuser, dunkler Trompetenton schwebt über wummernden Breakbeats.Die kleine Provokation zu Anfang des Konzerts zeigt, daß die ganze High-Tech-Digitalkakophonie zur Not auch ohne Musiker auskommt.Doch im Quasimodo steht eine Band aus Fleisch und Blut.Sie wird Stücke spielen, die manche Leute unter dem Etikett Drum & Bass oder TripHop ablegen möchten, bei denen die Beats jedoch nicht von der Festplatte kommen, sondern von zwei Schlagzeugern.

Der Baß hat Saiten und die Trommel Felle.Diese Band ist härter, lauter, dynamischer als jeder Rechner oder Konservenaufleger.Die Vergleiche mit Miles Davis: sie sind redundant, denn nahezu jeder Trompeter hat heute etwas von diesem Gottvater des Jazz in sich.In anderer Hinsicht aber hat Molvaer etwas von ihm übernommen: die offene Struktur der Gruppen-Improvisationen, wie Davis sie mit seinen Bands praktizierte.Das hat zur Folge, daß die Band ihre Musik ständig weiterkomponiert.In den acht Monaten seit ihrem letzten Gastspiel hat sie die Stücke des Erfolgsalbums "Khmer" Abend für Abend weiterentwickelt.Molvaer und seine Band haben sich dabei freigeschwommen.Manche Stücke, wie der "Song of Sand", haben mittlerweile die Intensität eines Goa-Trance-Rituals erreicht, andere klingen, als hätte man Jon Hassell mit Handschellen an einen HipHop-DJ gekettet.Die Band hat von ihren Re-Mixern, von DJ-Teams wie The Herbalizer, gelernt, ohne sich an gängige Dancefloor-Moden anzubiedern.Herausgekommen ist etwas sehr Seltenes: eine organische, kraftvolle Mischung aus Menschen- und Maschinenmusik, eine zeitgenössische Auslegung des Prinzips Jazz als größtmögliche Freiheit nicht nur der Improvisation, sondern des Stils.

RALPH GEISENHANSLÜKE

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