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Kultur: "Haider": Ein Sammelband über den FPÖ-Politiker, Österreich und die Last der Vergangenheit

Nach jüngsten Umfragen ist die Mehrheit der Europäer für die Beendigung des Boykotts der EU-Partner gegen Österreich. Die Aufregung um die Regierungsbeteiligung der rechtsextremen FPÖ wird vollends verpuffen, wenn sich herausstellt, dass die österreichische Demokratie durch die Regierung von ÖVP und FPÖ nicht akut bedroht ist.

Nach jüngsten Umfragen ist die Mehrheit der Europäer für die Beendigung des Boykotts der EU-Partner gegen Österreich. Die Aufregung um die Regierungsbeteiligung der rechtsextremen FPÖ wird vollends verpuffen, wenn sich herausstellt, dass die österreichische Demokratie durch die Regierung von ÖVP und FPÖ nicht akut bedroht ist. Denn nichts wirkt auf Dauer so demobilisierend wie falscher Katastrophenalarm. Dies wisse Jörg Haider nur zu gut, warnt der Berliner Publizist und Tagesspiegel-Autor Richard Herzinger in dem Band "Haider. Österreich und die rechte Versuchung".

Haider spekuliere darauf, nach einer Periode der Beruhigung der Öffentlichkeit durch eine gemäßigte Regierungstätigkeit seiner Statthalter selbst die Kanzlerschaft zu übernehmen. Für Herzinger ist die FPÖ eine auf die politischen Bedürfnisse Jörg Haiders zugeschnittene Bewegung, die dieser auch ohne formales Parteiamt lenken kann. Das verhindere ihre institutionelle Einbindung und die Hoffnung, die FPÖ könne in der Regierung "gezähmt" werden.

Dass Haider kein zweiter Hitler ist und seine Wähler zum größten Teil keine Nazis, darüber sind sich die Autoren des Bandes einig, unter ihnen hochkarätige vorwiegend österreichische Wissenschaftler und Journalisten, die die politische Entwicklung Österreichs seit Jahrzehnten beobachten und kommentieren. Entwarnung geben sie aber dennoch nicht. Herzinger weist überzeugend nach, wie Haider mit ideologischen Splittern der "Neuen Rechten" jongliert und ganz in deren Sinne mühelos Bekenntnisse zur pluralistischen Demokratie oder zur Europa-Idee unterschreibt und dabei doch konsequent am rechtsextremen Ideal einer homogenen Volksgemeinschaft festhält.

Haider als "sphinxenhaftes Wesen", als Popstar, als modischer Trendsetter, gar als Psychopath? Der Band versammelt unterschiedlichste Versuche, Haiders taktisches Geschick auf den Begriff zu bringen. Einige, darunter die tiefenpsychologischen oder kommunikationstheoretischen, wirken allerdings recht hilflos. Aufschlussreich ist dagegen die politische Einschätzung Wolfgang Schüssels von "News"-Chefredakteur Peter Pelinka. Er beschreibt Schüssel als "blitzgescheiten, weltoffenen und gebildeten" Ehrgeizling, als zoon politicon, das seine politischen Ziele zäh und mit perfekter Selbstdisziplinierung verfolgt. Der gefährlichen Unberechenbarkeit Haiders sei sich Schüssel sehr wohl bewusst, habe sich aber - zumindest Anfang des Jahres noch - zugetraut, ihn zumindest zu "entzaubern".

Die FPÖ besteht aber nicht nur aus Jörg Haider und ist schon lange nicht mehr das Sammelbecken von Alt-Nazis, aus dem sie Mitte der fünfziger Jahre hervorgegangen ist. Historisch, soziologisch und ideologisch ist die FPÖ keine geschlossene und homogene Partei, sondern eine, die unterschiedliche soziale Gruppen und politische Strömungen zwischen den Polen Rechtsextremismus und Liberalismus bündelt. Der liberale Flügel konnte sich allerdings erst Anfang der achtziger Jahre und auch nur für eine kurze Phase durchsetzen, bis 1986 Jörg Haider den Parteivorsitz übernahm.

Viel wurde schon darüber geschrieben, wie nachlässig man in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zahlreicher Politiker umging. Weniger bekannt dürfte allerdings sein, dass die beiden Großparteien ÖVP und SPÖ jenes folgenschwere Politikmuster festlegten, das die Karrieren zahlreicher Alt-Nazis legitimierte.

Der Politologe Anton Pelinka führt zudem aus, dass sich ÖVP und SPÖ zu Beginn der "Zweiten Republik" gegenüber den "Ehemaligen" nicht eindeutig abgrenzten, sondern im politischen Wettbewerb um ihre Stimmen sehr wohl konkurrierten. Dadurch förderten sowohl ÖVP als auch SPÖ nicht nur die Karrieren der "Ehemaligen" in ihren eigenen Reihen, sondern auch die Gründung der Freiheitlichen. "Haider ist nicht der Gegner der österreichischen Großparteien. Er ist ihr Übertreiber", folgert der Schriftsteller Peter Turrini.

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