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Haim in Berlin.

©  Roland Owsnitzki

Haim in Berlin: Schwestern zur Sonne: Haim im Berliner Lido

Die kalifornische Rockband Haim wird schon seit Monaten gehypt. Völlig zurecht wie ihr fulminantes Konzert im ausverkauften Kreuzberger Lido zeigt.

Sie haben sich total verzettelt. Schon vor Monaten hätte eigentlich das Debütalbum von Haim erscheinen sollen. Doch die Band aus dem San Fernando Valley fand einfach keine Zeit es zu beenden, weil nach einer EP und einer Single, die sie Ende letzten Jahres herausgebracht hatte, plötzlich die halbe Popwelt an ihr zerrte. Fernsehauftritte, Interviews, Covershootings, Festivaleinladungen – das Hype-Programm bekam noch mehr Schwung, als die drei Haim-Schwestern bei der BBC-Pop-Prognose „Sound of 2013“ auf dem ersten Platz landeten.

Im Frühling sagten sie sogar eine Europa-Tour – inklusive eines Berlin-Gigs – ab, um endlich fertig zu werden. Mittlerweile haben sie die Arbeiten an „Days Are Gone“ abgeschlossen. Es ist zwar immer noch nicht auf dem Markt, dafür stehen die drei aber jetzt auf der Bühne des ausverkauften Berliner Lido. Und spätestens nach zehn Minuten ist dann klar, dass der ganze Wirbel um die drei jungen Frauen mit den langen Mähnen vollkommen gerechtfertigt ist. Denn sie entfesseln genau die Art von unmittelbar packender Energie, die seit jeher die Faszination von Rockmusik ausgemacht hat. Dabei geht es ihnen nicht um simple Überwältigung, auf die dieses Genre inzwischen oft reduziert wird, sondern vielmehr darum, eine vibrierende Dauerspannung zu erzeugen. Drängend, tackernd und schiebend löst dieser Sound beim Zuhören einen Bitte-immer-so-weiter-machen-Wunsch aus.

Danielle Haim konnte ein Vorbild für junge Gitarristinnen werden

Ein erster Höhepunkt der nur knapp einstündigen, zugabenlosen Show ist eine Coverversion von „Oh Well“, das sich Haim unter die Nägel reißen, als hätten Fleetwood Mac es nie gespielt. Mit der britisch-amerikanischen Band sind die Schwestern schon häufig verglichen worden, wobei die Ähnlichkeiten eher deren Mainstream-Pop-Ära ab 1975 betreffen und auf Platte stärker zutage treten als auf der Bühne. Live fahren Haim, die am Schlagzeug von Dash Hutton begleitet werden, sowohl den Popanteil als auch ihre R-’n’-B-Einflüsse fast völlig zurück. So benutzt Alana Haim nur selten einmal das Keyboard am linken Bühnenrand und konzentriert sich meist auf die zweite E-Gitarre.

Zwischendrin erzählt die mit 21 Jahren jüngste Schwester, dass sie am Nachmittag das Barbie Dreamhouse am Alexanderplatz besucht hat. „Man kann da einfach nicht nicht hingehen“, findet Alana und malt sich aus, wie es wäre, wenn alle nach dem Konzert dort ein bisschen Unsinn machen würden. Sie schlägt vor, nette Sachen an die Wände zu schreiben. Zum Beispiel: „Ken is my bitch!“

Die Ablehnung eines püppchenhaft-passiven Rollenmodells bei gleichzeitiger Aneignung und Umkehrung eines Machismo – die kleine Barbie-Episode spiegelt das souveräne Selbstverständnis, das Haim sowohl musikalisch als auch optisch prägt. Großes Gepose hat etwa Sängerin und Gitarristin Danielle Haim nicht nötig. Geradezu beiläufig treibt sie das Geschehen mit ihrer rotbraunen Gibson SG voran und setzt gelegentlich kleine Solo-Akzente. Die 24-Jährige mit der schwarzen Lederweste über dem schwarzen T-Shirt könnte in der Nachfolge von Joan Jett, Chrissie Hynde oder Carrie Brownstein das Vorbild für eine neue Gitarristinnengeneration werden – vielleicht hat sie ja sogar eine der vielen jungen Frauen im Lido motiviert, mal selbst in die Saiten zu hauen.

Danielle wirkt am fokussiertesten von den Schwestern. Weil sie gerade erst eine Halsentzündung überstanden hat, gibt sie bei „Falling“ einen Teil des Leadgesangs an Bassistin Este ab, was reibungslos funktioniert. Überhaupt sind die wechselnden und gemeinsamen Gesänge der drei Frauen eine ihrer Stärken. Besonders gut zeigt sich das bei der strahlenden Pophymne „Don’t Save Me“. Gleich im Anschluss spielen Haim ihren bisher größten Hit: Das fulminante „Forever“ macht in seiner kurvigen Dramaturgie umgehend gute Laune. Als Danielle in der Mitte des Stücks aus ihrem abgehackten Spiel in ein verzerrtes, leicht funkiges Riff übergeht und dabei den Gitarrenhals langsam von sich weg ins Publikum neigt, löst das eine spontane Begeisterungswelle aus.

Wenn es eine Band gibt, die den in einer tiefen Relevanzkrise steckenden Rock in diesem Jahr retten könnte, dann ist es zweifellos Haim. Das am 27. September erscheinende „Days Are Gone“ wird das endgültig zeigen.

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