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Ich bin massenkompatibel. Chief Grebe vor der Videowand in Berlin.

© Thilo Rückeis

Konzertkritik: Halleluja Heimat: Rainald Grebe in der Waldbühne

Der Kabarettist Rainald Grebe zeigt bei seinem Konzert in der Waldbühne, dass Kleinkunst auch groß funktioniert und demonstriert, was ihn von Elton John unterscheidet.

Kein deutscher Musikkabarettist hat mehr Udo-Jürgens-Appeal als er. Das steht nach Rainald Grebes „Halleluja Berlin“-Konzert in der Waldbühne aber so was von fest. Der verschreckte weiße Wallach, den Indianerhäuptling Grebe zu Beginn der Show besteigt, ist mindestens so kultverdächtig wie Udos weißer Frotteemantel. Und das Publikum, das in die feuchte Arena drängt, ist staunenswert heterogen: spacke Studenten und gepiercte Handwerksgesellen, Politkabarettfans mit Plautze und linke Kapuzenpulliträger, Stadion und Kleinkunstkneipe, Provinz und Metropole, Brandenburg und Berlin in trauter Eintracht, vereint durch einen gemeinsamen Nenner namens Grebe. Und die nicht zu knapp vertretenen Silberlocken können auch nicht alle Rainalds extra begrüßte Eltern sein.

„Ich bin massenkompatibel“ ist denn auch Grebes Schlachtruf des Abends, den alle fröhlich mitgrölen. Weg mit dem Individualismus, endlich mal Kollektiv sein! So wie die Damen vom Gropius-Chor, die im Vorprogramm von Grebes Waldbühnen-Happening Volkslieder singen. Super und nebenbei auch sehr gut zur Örtlichkeit passende Lieder wie „In einen kühlem Grunde“ und „In einem Baum ein Kuckuck saß“. Zugabe brüllen da schon erste fanatisierte Anhänger der Ironie-Fraktion, denen es noch viel zu ernst zugeht.

Überhaupt: Rainald Grebe hat für sein größtes Konzert ever, das er sich, aber irgendwie auch der Welt, zum 40. Geburtstag schenkt, jede Menge Zirkus versprochen, macht dann aber doch nur halb so viel Volksfest. Die Geschichte des 1936 zu den Olympischen Spielen eröffneten Amphitheaters mit seinen am Sonnabend gut gefüllten, aber nicht ausgebuchten 22 000 Plätzen, ist eher locker assoziativ in die Show gewoben, sieht man mal vom missglückten Versuch ab, die Arenazertrümmerung beim Stones-Konzert 1965 zu wiederholen.

Immerhin: Neben dem Gropius-Chor, Rainald Grebes bestens aufgelegtem Orchester der Versöhnung und der Bolschewistischen Kurkapelle, die schon vor der Show fahneschwenkend und tutend durch die Ränge zieht, gibt es eingespielte Ansagen, die von Großereignissen in der Waldbühne erzählen. Eine Riege Turnmädels dreht eine Runde, während auf der Leinwand historische Filmaufnahmen laufen und im Boxring vor der Bühne, wo einst Max Schmeling kämpfte, hauen sich ein junger Grieche und ein Usbeke vom Berliner Turn- und Sportclub im Schaukampf. „Zu Ehren der Boxstadt Berlin, der Waldbühne und zu Ehren von Rainald Grebe“, spricht der Moderator.

Der genießt nach dem Einritt zur Winnetou-Filmmelodie erst mal die Aussicht in die Arena, täuscht seine berühmte „Brandenburg“-Hymne an, disst den armen Elton John als „dicken, alten Engländer“ (Elton John spielt zeitgleich in der O2-World vor 8000 Zuschauern, siehe Rezension auf dieser Seite) und spielt mit bunter Sonnenbrille ein paar schadenfroh umjubelte Takte von „Candle in the Wind“.

Schon da gibt‘s keinen Zweifel mehr, dass Kleinkünstler Grebe auch als stimmstarker Zampano in dieser Großkulisse bestehen kann. Selbst Klaus Wowereit geht lieber zu ihm als zu Elton. Das Prinzip Wiederholung funktioniert in Arenen und bei Mitsinghits wie „Prenzlauer Berg“ und dem in großer Besetzung zur Rockoper aufgemotzten Knaller „Das war das 20. Jahrhundert“ besonders gut. Das ist sowieso der einzige Rahmen, in dem man Lieder über Stadtneurotiker und Land-Bohème, über Latte- und Dinkelbiertrinker noch hören mag, mögen sie auch noch so kunstvoll witzig, traurig und aasig wie die von Rainald Grebe sein.

Der ist ja gar kein böser und frecher Deutschland-Deuter, der ist ein Heimatdichter und dies ist ein romantischer Heimatabend. Zutiefst melancholisch auch, wie sich in der mit großen Klein-Rainald-Augen dargebotenen Ballade „Familie Gold“ samt dem Refrain „Wir waren das Herz von Westdeutschland“ zeigt. Ein starkes leises Lied, von denen der lustige Abend noch ein paar mehr hätte gebrauchen können.

Der in Frechen bei Köln aufgewachsene Grebe weiß, dass man dem unbehausten modernen Menschen einen Ort geben muss, bevor man ihn damit veräppeln kann. Beim großen Finale samt Länderhymnen-Mitsingblock, Knicklichtern und zum Refrain „Halleluja, Berlin“ entrollten Bannern kommt dann verschärft Masseninszenierungsfeeling auf.

„Leni, ich will zu dir!“, ruft Grebe in die Menge. Ironie, so hart wie Riefenstahl. Gern mehr davon.

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