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Kultur: Halt ein!

Christian Thielemann dirigiert einen grandiosen „Tannhäuser“ bei den Bayreuther Festspielen

Die Arbeitsbedingungen auf dem Grünen Hügel dürften – von kleineren „Einmischungen“ seitens der Festspielleitung abgesehen – nach wie vor als paradiesisch gelten: Die Künstler sind wegen der Ehre hier, Werkstätten und technische Abteilungen liefern Spitzenergebnisse ab, die Finanzierung ist gesichert, die Luft würzig, das Publikum willig. Abstrakt gesehen also müssten bei den Bayreuther Festspielen wenn nicht die besten, so doch die bestmöglichen Wagner-Aufführungen der Jetztzeit zu bewundern sein.

In mehrerlei Hinsicht ist das ja auch so. Einen Chor wie den von Eberhard Friedrich betreuten und gepflegten Festspielchor etwa dürfte man republikweit suchen. Diese samtseidigen, sinnlichen Piani! Dieser vibrierende, pulsierende und in jeder einzelnen Faser lebendige Korpus, der es versteht, selbst einer Wunschkonzert-„Nummer“ wie dem Pilgerchor aus dem „Tannhäuser“ noch Glanzlichter aufzustecken! Es macht eben einen Unterschied, ob ich das, was ich da singe oder spiele, leidenschaftlich und von Herzen spielen und singen will oder nicht. In Bayreuth wollen alle Musiker, auch die des Orchesters.

Wenn man nur einmal diese ersten beiden Festspielabende nebeneinander hält, „Parsifal“ und „Tannhäuser“: unter Pierre Boulez, wie gesagt, die allergrößte Keuschheit und Askese, feinste Abschattierungen, ein elfenbeinernes Timbre an der Grenze zum Ersterben (respektive zum „Verwesen“, um mit Christoph Schlingensief zu sprechen); unter Christian Thielemann hingegen prallste Klangerotik und vitales, dampfiges Brodeln schon in den „Tannhäuser“-Vorspielen, ein Musizieren wie aus den Eingeweiden heraus in die Eingeweide hinein, sehniges Reiten auf dem Klang, triumphale Ritardandi auch jenseits des Venusbergs. Was Thielemanns Lesart allerdings dem bloß „vollen Rohr“, dem Wühlen im Orgiastischen enthebt und interessant macht, ist die Partitur selbst, sind deren zagende Töne, die Momente des Zweifelns und Verzweifelns, bei Wolfram, bei Elisabeth. Die „Hallen“-Arie etwa lässt Thielemann immer wieder verharren, fast stille stehen, und auch der Sängerkrieg im zweiten Akt besticht durch Fermaten, Haltepunkte, ja einen gleichsam organisch-modellierten Umgang mit der Zeit, der Widerstände einbaut, Fragen stellt – als sickerte das Unheil hier weit früher durch die Ritzen, als es das dramatische Geschehen zugibt. Ovationen und ein beim Verbeugen glückselig am Vorhang baumelnder Ex-Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin.

Sowohl in Sachen Regie allerdings (über die man immer streiten kann) als auch in Fragen der Sängerbesetzung (über die man nicht immer streiten kann) wahren die Bayreuther Festspiele seit Jahren nicht das Niveau. Es kann nicht sein, dass von zehn Solisten bloß ein einziger eine exzeptionelle und hügelwürdige Leistung erbringt – nämlich Kwangchul Young, der seinen Hermann derart lyrisch angeht, als wäre er von Schubert, mit perfekter Phrasierung und zaubrisch schönen Farbnuancen. Es kann nicht sein, dass beide Frauen bestenfalls ordentlich singen – wobei Judit Nemeths Venus in der Höhe arg forcieren muss, während Ricarda Merbeths Elisabeth bei allem Willen zur Innigkeit leider wenig spezifisch bleibt. Es kann nicht sein, dass Roman Trekel zwar Wolframs „Lied an den Abendstern“ mit Seele füllt, für den Rest der Partie stimmlich aber zu klein besetzt ist. Gewiss, es tröstet, dass sich Stephen Gould als Tannhäuser beachtlich schlägt: ein kräftiger, im Forte zu einer gewissen Fleischigkeit neigender, klug disponierender Tenor. Und auch die Schar der Sänger (Clemens Bieber, John Wegner, Arnold Bezuyen und Alexander Marco-Buhrmester) lässt kaum etwas zu wünschen übrig. Allein, so richtig glücklich macht das alles nicht.

Eine giftfarbene Kitsch-Schleuder übrigens wie Philippe Arlauds „Tannhäuser“-Inszenierung mag ästhetisch Geschmackssache sein; in dem Moment, in dem sie das Stück desavouiert, weil sie nichts als bare, blanke, blöde Oberfläche zu bieten hat, gehört sie nicht an diesen Ort. Das Beste? Das Bestmögliche? Nach viereinhalb Stunden jedenfalls wünscht man sich nichts sehnlicher als einen kleinen Schlingensief’schen Hasen, der rätselschwanger über die labyrinthische Bayreuther Festspiel-Bühne hoppelt.

Christine Lemke-Matwey

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