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Kultur: Halt mich an auf der Reise

Binh ist Außenseiter. Die Bürde eines Stigmas haftet an ihm.

Binh ist Außenseiter. Die Bürde eines Stigmas haftet an ihm. Und damit sind nicht nur die Narben am Mund gemeint. Sein Vater, ein G.I., hatte während des Krieges eine Vietnamesin geschwängert. Im Gesicht von Binh (Damien Nguyen), dem vietnamesischen Mischling, spiegelt sich daher auf ewig das Antlitz des Feindes. Immer wieder wird er an den Rand der Gemeinschaft gedrängt. In einer der ersten Einstellungen von Hans-Petter Molands Beautiful Country (im Wettbewerb) sehen wir ihn alleine beim Abendessen. Er bekommt einen spärlich gefüllten Reistopf vor die Tür gereicht – seine vietnamesische Gastfamilie jedoch isst gemeinsam im Innern. Wenn er irgendwo angekommen scheint, muss er bald wieder weichen. Binhs Leben wird rastlos. Eine Odyssee. Er macht sich auf die Suche nach der Mutter in Ho-Chi-Minh-Stadt. Er flüchtet mit anderen boat people nach Malaysia. Schließlich bricht er nach Amerika auf, um seinen vermissten Vater (Nick Nolte) aufzuspüren. Von da an gewinnt der zunächst ein wenig zerfasert wirkende Film deutlich an Fahrt. In den dunklen, rostigen Stauräumen des Frachters kauern die tired, poor, huddled masses, wie es auf der Inschrift der New Yorker Freiheitsstatue heißt. Durstig, am Verhungern und krank kämpfen sie ums nackte Überleben – immer von einem mephistophelischem Kapitän (Tim Roth) in Schach gehalten. Dem Norweger Hans-Petter Moland gelingt es dabei geschickt, die Waage zu halten zwischen dem Elend der Flüchtlinge und der romantischen Verwicklung von Binh mit der schönen Chinesin Ling. Wenn Michael Winterbottoms „In This World“ im vergangenen Jahr die harte, dokumentarische Variante des Themas Entwurzelung war, so ist „Beautiful Country“ ein zurückhaltendes, melodramatisches Pendant, unterlegt mit der sanften Musik von Zbigniew Preisner. Moland greift dabei auf eine Idee von Terrence Malick („The Thin Red Line“) zurück, der den Film auch produzierte – und man fragt sich manchmal, wie der große Enigmatiker des amerikanischen Kinos diese Szenen wohl gelöst hätte. In diesem Film, der von Flucht, Einwanderung und Vatersuche erzählt, werden Schuhe zum Symbol. Binh, der barfuß unterwegs ist, so weit ihn die Füße tragen, will in Amerika Schuhe verkaufen – die braucht schließlich jeder. So gesehen, ist der amerikanische Traum noch lange nicht ausgeträumt. (Heute 12.30 Uhr und 18.30 Uhr, Royal-Palast; 22.30 Uhr, International).

Julian Hanich

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