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Kultur: Hammer und Socke

Der Mensch im Angesicht der Wirkmaschine: ein Besuch im Gelenauer Strumpfmuseum / Von Peter Wawerzinek.

Auf Reisen durchs Land soll man sich auf Überraschungen einlassen. Ergiebige Orte dafür sind Museen, die es nur in der Region gibt. Es lässt sich in einem Heimatmuseum stets etwas entdecken. Schöne Dinge werden einem verraten, man verlässt das Heimatmuseum klüger, als man eine Bibliothek betritt. Man geht wissender durch den Ort und steht dann an einem Teich, von dem man weiß, dass er eine künstlich ausgehobene Kuhle ist, dass die Buschrosen vom Tierverwertungsbetrieb gespendet worden sind, und man kann von den Randgesteinsbrocken deren lateinische Namen hersagen.

Dass die Strumpfwirkerei im Landkreis Annaberg im Erzgebirge einst tonangebend war, erzählt dem Besucher das InfoHeftchen im Strumpfmuseum Gelenau – und auch, warum und wie es mit der stolzen Wirkära zu Ende ging. Das Museum habe ich im Vorbeigehen entdeckt. Ich war da auf dem Weg zum Markt, die Jahreszeit mit einem Glühwein zu begrüßen. Bin angelockt worden durch die zur Schrift gewordene Giebelfront des Hauses: Erstes Deutsches Strumpfmuseum. Rote Fensterrahmen und ein rot angepinselter Hauseingang rufen dem Zögerlichen zu: Nun aber nix wie rein in die gute Stube, dem ehemaligen Rittergut. Das Strumpfmuseum gibt es seit Dezember 1992 in Gelenau am Rathausplatz. Die Ausstellungsräume sind Parterre und mit kräftiger Balkendecke versehen. Viel heller Putz. Viel Neonlicht. Und viele Maschinen und Gerätschaften zum Maschinenpark versammelt.

Prunkstück und auch das absolute Vorzeigeexemplar: die zwölf Meter lange voll funktionstüchtige Flachkulierwirkmaschine. Ein Wort, wie zum auswendig Aufsagen gedacht. Man kann auch einfach Cottonmaschine sagen. Steht zur Erinnerung an ein aussterbendes Gewerbe hier, sagt der Andreas Hofmann, der sie aufgebaut hat und pflegt und für den Besucher anwirft, dass es ruckelt und zischelt und schön vibriert. Er ist dauernd am Erklären, wohin der Blick zu richten, woran zu denken, was das Besondere an den Mechaniken an seinen Strick-, Strumpf-, Wirk- und Formmaschinen ist.

Alles ist hier aus dem großen Jahrhundert zur Mustersammlung vereint. Restposten aus der Blütezeit der Strumpfherstellung. Nebenbei läuft die kleine Strumpfproduktion für hoffentlich zufriedene Kundschaft, die Einzelwünsche erfüllt bekommt. Wenn Sie für die Zeitung schreiben, stricken wir Ihnen den Namen der Zeitung in die Socken, wenn Sie sich verlieben, den Ihrer Liebsten. Und sind Sie uns ein Besucher, so sollen Sie auch unser Kunde sein. Im Laden verkaufen wir Extrawein.

Der Star unter unseren Spirituosen wird als „Strumpfwirkertropfen“ feilgeboten. Garantiert aus eigener Herstellung, mit fünfunddreißig Umdrehungen. Feinstes Maschinen- und Fahrradöl, steht auf dem Etikett geschrieben, harzfrei mit Kräutern, Spitzenerzeugnis. Der Schnaps, der zur persönlichen Entdeckung werden kann, dem, der aus diesem Brünnlein trinket, ein langes Leben winket. Na dann Prosit auf Gelenau! Auf dass es gut mit dem Museum weitergeht und die letzten Maschinen nicht ins Leere wirken.

Und dann beim Hinausgehen in einer Ecke: Hämmer über Hämmer, die so gar nichts mit Strümpfen und Wirkmechanik zu schaffen haben. Ach ja. Die Hammerausstellung, seufzt der Museumsmann. Weit über dreihundert Hämmer aus vielen Jahrhunderten sind es. Hat einer bei sich in der Neubauwohnung zu hängen, zu liegen gehabt. Bis, ja bis dann die Frau getönt hat: Ich oder die Hämmer! Er hat sich für die Frau entschieden. Und deshalb liegen sie jetzt hier in seinem Museum aus. Sind vor kurzem in eine neue Wohnung umgezogen, die beiden. Hat er im Keller eine neue Sammlung angelegt. Dreizehn Schubkarren mit Hämmern haben sie dort herausgefahren. Und niemand weiß, ob die Frau mit ihm zusammenbleibt.

–Peter Wawerzinek lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Rabenliebe“ (Galiani Verlag). – Das Strumpfmuseum ist Mo–Sa 11–17 Uhr, So 13–17 Uhr geöffnet. Infos: www.gelenau.de

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