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Kultur: Hanna, halbnah

Heilt Liebe Wunden? Isabel Coixets Kammer-Melodram „Das geheime Leben der Worte“

Sie wirkt wie eine Märcheninsel, nebelumflort, weit draußen in der graublauen See. Oder wie ein Meeresungeheuer, tropfend, algenbehangen und rostig braun. Diese Bohrinsel in der Nordsee ist ein Unort, nach einem Unfall stillgelegt und sinnlos geworden. Auf ihr hausen Überlebende: seltsame Existenzen, jede auf ihre Art aus der Zeit gefallen. Sie tanzen nachts auf Deck Walzer, spielen mit einer freilaufenden Gans, zählen die Wellen des Meeres oder kochen, inspiriert durch Canzoni, Chansons oder Sambaklänge, exquisite Landesmenüs, die niemand würdigen kann. Jeder hat sein privates Unglück mit auf die Insel genommen – hergelockt von der Hoffnung, dass hier keiner danach fragen wird.

Der perfekte Ort also für Krankenschwester Hanna (Sarah Polley), die zu viele Geheimnisse mit sich trägt und das Sprechen darüber schon dadurch verhindert, dass sie einfach ihr Hörgerät abschaltet. Wer weiß, was für Worte in ihrem Innern hallen – nach außen dringt nur ein „Ja“ oder „Nein“. Doch wenn die spanische Regisseurin Isabel Coixet ihren Film über diese Hanna mit dem Titel „Das geheime Leben der Worte“ versieht, dann mit dem Versprechen, dass man irgendwann diese Worte hören wird. Und dass das, was tote Sprache scheint, wieder lebendig werden könnte, so wie auch Hannas stilles, verschlossenes Gesicht irgendwann wieder lebendig und offen sein soll.

Bis dahin jedoch herrscht Routine, karg und minimalistisch inszeniert. Am Anfang eine Fabrik irgendwo in Spanien, eine leere Wohnung, kein einziges persönliches Einrichtungsstück bis auf einen Stapel ungeöffneter Briefe. Und eine junge Frau, die allein in der Kantine ihr immer gleiches Mahl aus Hühnchen, Reis und Erbsen verzehrt. Die Außenseiterin Hanna funktioniert, funktioniert sogar sehr gut – ihre Schwerhörigkeit schützt sie vor Maschinenlärm –, nur der Kontakt mit der Umwelt funktioniert überhaupt nicht. Und irgendwann entscheidet ihr Chef: Schluss jetzt, Zwangsurlaub. Spann mal aus, fahr in die Karibik – hier ist ein Prospekt.

Doch Hanna fährt nicht in die Karibik, sondern nach Irland, wo es mindestens so regnerisch, grau und kalt ist wie dort, wo sie herkommt. Und wo, auf der Bohrinsel, als Ferienjob die nächste Routine wartet: Ein Mann ist verletzt worden, schwere Verbrennungen, zeitweilig erblindet, und eine Pflegerin wird gesucht.

Der Blinde und die Taube, das ist ein seltsames Gespann. Wie diese beiden Schwerversehrten miteinander umgehen, er provozierend direkt, eine plumpe Anmache, sie sanft, eisern zurückhaltend und sehr souverän – das ist über weite Strecken ein Drama für sich, ein Kammerspiel, eine Kraftprobe. Entfernt erinnert sie an Lars von Triers „Breaking the Waves“, auch wenn es dort um ein ganz anderes Opfer ging, um ein anderes Frauenbild. Coixets Film hingegen schwebt in diesen Momenten, hält inne, kreist um die beiden Protagonisten, die wunderbare Sarah Polley, ein Madonnengesicht mit ernstem Kinderblick, unvergessen aus Isabel Coixets letztem Film „Mein Leben ohne mich“, und Tim Robbins, nach langer Zeit wieder in einer echten Charakterrolle. Die beiden liefern sich ein Psycho-Duell, schweigend und redend, in dem es mindestens so sehr ums Verletzen wie ums Heilen geht, und um die Erkenntnis, dass Zuneigung, Liebe immer auch Grenzübertretung, Zunahekommen heißt – und schmerzt.

Nur als es zwischen beiden dann tatsächlich Liebe wird und alles ausgesprochen und auch der Zuschauer Hannas Geheimnis erfährt, da ist es ein so schreckliches, dass man danach nichts mehr glauben möchte von Liebe und Zuneigung und Neubeginn. Da schlägt auf einmal die Weltpolitik auf diesen zarten Film ein, mit allen Schrecken des jugoslawischen Bürgerkriegs, und der Film möchte wiedergutmachen und kann es nicht. Bei solchen Geschichten glaubt man kein Happy End.

Adria, Film-Palast, Kulturbrauerei, Passage, Cinestar Sony-Center (OV), Hackesche Höfe (OmU) und Odeon (OmU)

Christina Tilmann

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