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Hannes Waders Karriere begann in den 60er Jahren in kleinen Clubs in Berlin. Nun tritt er von der Bühne ab, aus Altersgründen

© imago/Viadata

Hannes Wader live in Berlin: Morgen dort

Liedermacher Hannes Wader verabschiedet sich mit einem allerletzten Konzert im Berliner Tempodrom.

Hannes Wader war zuletzt kein Mann mehr für Berlin. Kaum eine Tour, die hier mal vorbeikam, die Fans pilgerten nach Potsdam, wo es dann rund um den Nikolaisaal so aussah, wie es in den letzten 20 Jahren bei Wader-Konzerten aussah: Lehrerfamilien auf Gemeinschaftsunternehmung, vollbärtige Lederwestenträger, Kulturdezernentinnen mit Seidenschal. Auch junge Leute, klar, aber insgesamt war das doch eine Feier des Gestern, von schöner Jugend und Kindheit. Hier sehnten sich alle, der Autor dieser Zeilen eingeschlossen, irgendwohin zurück. Das war nicht Berlin.

Wenn Hannes Wader von seiner neuen Plattenfirma Universal in den letzten fünf Jahren doch einmal in die hyperaktive Gegenwart der Hauptstadt verfrachtet wurde, dann wirkte er seltsam deplatziert: sei es bei einer CD-Premiere unter den hängenden Gärten des Dussmann’schen Kulturkaufhauses, sei es mit den lärmenden Toten Hosen beim Echo 2012. Zunehmend knorrig ging der Hüne im Getriebe unter. Waders Charisma ist keins der Überpräsenz.

Dabei war der hier doch mal mittendrin! Zehn Jahre lang, bevor er Anfang der 70er in eine nordfriesische Windmühle zog. Wesentlich jünger und weniger knorrig, ein hagerer Jüngling mit D’Artagnan-Bart und Prinz-Eisenherz-Frisur, ein Hipster vor der Zeit, ein Schaufensterdekorateur, aus den Tiefen Ostwestfalens in die Frontstadt gekommen, um hier Teil einer Avantgarde zu sein, man könnte auch sagen: einer Szene. Die Blödler um Ingo Insterburg gehörten dazu, die bissigen Ulrich Roski, Schobert Schulz und Black Lechleitner, der sanfte Reinhard Mey.

Und eben Wader, der zunächst auf Troubadour à la Georges Brassens und dann auf Folksinger mit Picking-Gitarre machte und doch immer er selbst war: Urtyp des Liedermachers, wild erzählt, charismatisch, sprachbegabt, sentimental und – das ist ja nicht selbstverständlich – musikalisch den eigenen Ideen durchaus gewachsen. Wer davon einen kleinen Eindruck bekommen möchte, der suche mal bei Youtube nach den Clips mit Hannes Waders Auftritten im Insterburg-&-Co.-Film „Weine nicht, weine nicht ...“ Ende der 1960er. Dort zeigt sich, in Talking Blues und West-Berliner Abbruchhäusern, ein Talent, das noch jede Generation erkannt hätte.

Die 75 sieht man ihm nicht an

Knapp 50 Jahre später steht Hannes Wader an einem Donnerstagabend Ende November wieder mal auf einer Berliner Bühne – ein großer Mann mit weißgrauem Vollbart, dem man die 75 Jahre in den düsteren Weiten des ausverkauften Tempodroms nicht auf den ersten Blick ansieht. Aber später dann doch, beim ausdauernden Rundumverbeugen nach vier Zugaben: etwas eingefallener das immer noch scharfe Profil, etwas gebeugter die immer noch hünenhafte Gestalt. Und, was man erst hinterher aus nächster Nähe sieht, als Wader noch einmal in den halb leeren Saal zurückkommt und geduldig Autogramme am Bühnenrand schreibt: etwas trüber der immer noch wache Blick, der in diesem Moment der Erschöpfung auch etwas Gleichgültiges hat.

In diesem Blick liegt eine Antwort auf die Frage, ob das wirklich sein muss, dieser Abschied vom Tourneeleben. „Für immer“ – diese zwei Worte betont Wader gegen Ende dieses letzten Konzerts seiner letzten Tour mit der ihm eigenen Mischung aus Nüchternheit der Stimme und Pathos des Moments. Und erntet dafür natürlich die einkalkulierten Unmutsbekundungen der Menschen im Publikum, für die das mit ihm und ihnen noch ewig so weitergehen könnte.

Und man muss sagen: Rein musikalisch könnte das durchaus noch eine Weile klappen! Von Waders breit gefächertem Œuvre an Lebensbilanz- und Lebenserinnerungsliedern über Launiges wie „Ankes Bioladen“ bis zu Historischem und Politischem wie „Bürgerlied“ und „Moorsoldaten“: Das sitzt und schwebt alles in teils anrührender Klarheit, sieht man von leichten Artikulationsschwierigkeiten vor allem bei englischen oder französischen Textpassagen ab und davon, dass für Wader schon seit Jahren, sehr zum Leidwesen der notorischen Mitklatscher, ein gleichmäßiges Metrum auf der Bühne immer weniger zur Sache tut.

Das Publikum will nochmal die Klassiker hören

Das Bonmot, das Wader ausweislich Presseberichten schon auf anderen Stationen dieser Abschiedstour gebracht hat, es trifft jedenfalls auch an diesem Abend zu: Er könne sich einen ganzen Abend lang selbst zitieren und werde das auch ausgiebig tun.

Aber genau darin liegt natürlich ein guter Grund, aufzuhören. Denn auch wenn Wader nie stehengeblieben ist, auch wenn er wacker weiter alle drei bis fünf Jahre neue gute CDs rausbringt: Überraschen können er und sein Publikum sich schon lange nicht mehr. Die Interaktion bei den Konzerten ist vorhersehbar. Es gibt besonders viel Liebe für die Klassiker und für Selbstironisches, kommunistische Schreihälse fordern die „Internationale“ und bekommen dafür „Bella Ciao“ oder auch mal „Ade zur guten Nacht“ serviert. Und die Freundinnen des Volkslieds würden gerne mehr mitsingen, trauen sich aber im Meer der Nicht-Sänger nicht und werden vom Sänger auf der Bühne, der dezidiert kein Entertainer ist, immer erst in der letzten Zugabe explizit ermutigt. Und so verläuft die Stimmungskurve auch im Tempodrom, trotz eines hochaufmerksamen, teils sogar andächtigen Auditoriums, seltsam flach und wirken auch die Standing Ovations vor jedem der drei Zugabenblöcke eher wie Gymnastikübungen im Mehrgenerationenhaus.

Alles an diesem Abend – auch die Tatsache, dass er sein Versprechen auf Unvergesslichkeit nur widerwillig einlöst – spricht dafür, dass der erklärtermaßen unintellektuelle, aber eminent kluge Wader eine richtige Entscheidung getroffen hat.

Daran ändert auch nichts, dass ganz am Ende doch dieser eine, genau richtige Moment kommt, als alle gemeinsam und die meisten noch stehend von den vorangegangenen Ovationen „Sag mir, wo die Blumen sind“ singen. Denn schließlich birgt auch dieses Lied, auf seine Art, die Weisheit aus dem ewigen „Heute hier, morgen dort“, mit dem das Konzert zweieinhalb Stunden zuvor begonnen hat: dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war.

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