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Der Regisseur als Familienaufsteller. Schmid bei der Arbeit mit dem Drehbuch.

© Pandora

Hans-Christian Schmid: „Berlin ist schwer darstellbar“

Regisseur Hans-Christian Schmid über seinen neuen Film "Was bleibt", Familienrollen, Besuche bei den Eltern und die schwierige Auswahl von Drehorten.

Herr Schmid, warum tun sich die Kinder der Wirtschaftswundergeneration mit dem Modell Familie so schwer?

Weil es diese wunderbare Freiheit gab, die aber auch zur Bürde werden kann. Wer in den siebziger Jahren in Westdeutschland geboren wurde, konnte sich beim Studium Zeit lassen, die Welt kennenlernen und viel ausprobieren, begünstigt durch bezahlbaren Wohnraum in einer Stadt wie Berlin. Dann wachte man auf, war Mitte, Ende 30, aber es gab noch keine Existenzgründung, nichts von substanzieller Bedeutung. Für die Elterngeneration war das anders. Sie wollte den Mief und die Armut der Nachkriegszeit schnell überwinden; das brachte viele Gründer- und Machertypen hervor, Leute wie Günther im Film.

Man wächst sorglos und behütet auf, in stabilen, meist liberalen Elternhäusern. Warum erwächst ausgerechnet daraus diese verunsicherte Generation?

Vielleicht funktioniert das Wohlstandsversprechen nicht mehr. Die Nischen sind enger geworden, die Existenzsicherung ist brüchig. Manche machen mit Internetjobs ein Vermögen, andere treten trotz Hochschulabschluss noch Anfang 30 unbezahlte Praktika an. Hinzu kommt, dass man sich gar nicht unbedingt freistrampeln muss: Wie viele der jungen Familien im Bötzow-Viertel in Prenzlauer Berg sind sponsored by Mami und Papi?

Corinna Harfouch spielt Gitte, die Mutter, sie ist manisch-depressiv. Warum sind so viele Frauen dieser Generation krank?

So liberal die Männer sich geben, so klassisch ist doch die Rollenverteilung. Das Problem existiert bis heute, auch weil Kinder ihre Mütter in den ersten Lebensmonaten mehr brauchen als ihre Väter. Also müsste man ein halbes Jahr nach der Geburt gezielt sagen: Stopp, jetzt machen wir das anders. Energiegeladenen Männern wie Günther kommt es nun mal sehr gelegen, wenn sie die Außenkontakte pflegen und die Frau ihnen den Rücken freihält. Auch damals hatten viele Frauen schon Berufe; nach zehn Jahren Familienpause konnten sie aber kaum noch daran anknüpfen. So entstehen unglückliche Biografien, ungelebtes Leben, selbst bei starken Frauen.

Ist das typisch westdeutsch?

Die Selbstverständlichkeit, mit der man sich im Westen Wohlstand erwirtschaften konnte, gab es im Osten nicht. Auch nicht die Möglichkeit, aus der Kleinstadt sehr weit weg nach Berlin zu gehen und schon wegen der Entfernung nicht am Wochenende nach Hause zu können. Corinna Harfouch konnte auch kaum verstehen, dass Gitte sich nicht aus diesem Käfig befreien konnte. Bei Frauen aus dem Osten wäre es nie so weit gekommen. Der Film spielt in Siegburg bei Bonn, weil es sich um eine typische Familie aus der Bonner Republik handelt, um einen Frankfurter Verleger, der ein Haus in einem Vorort hat und zur Arbeit pendelt.

Die entscheidende Szene zwischen Mutter und Sohn spielt im Wald: ein derzeit sehr beliebter Schauplatz in deutschen Filmen.

Wir haben in Haltern am See und in Herten gedreht. Christian Goldbeck, unser Szenenbildner, ist in einem ähnlichen Haus aufgewachsen. In der Nähe gibt es ein 50 Quadratkilometer großes Waldgebiet, die Haard. Der Wald ist ein wichtiger Kontrast zum Haus, das Unbehauste, Unheimliche: Nirgendwo fühlt man sich verlorener als nachts zwischen dunklen Bäumen. Man liest ja jetzt überall Artikel über die neue Lust am Gärtnern…

… „urban gardening“ ist groß im Trend.

Ja, die kleine Datsche für den Großstädter, der Selbstanbau. Für die Generation meiner Eltern war das mit der Armut der Nachkriegszeit verbunden: Deren Eltern hatten versucht, auf den wenigen Quadratmetern hinterm Haus Gemüse hochzuziehen, um zu sparen. Wer sich dann in den 70ern einen kleinen Bungalow leisten konnte, mit kurz geschnittenem Rasen und Zierstauden, hatte es geschafft. Und heute ist der Wunsch nach einem kleinen, überschaubaren Garten vielleicht einfach ein Gegenentwurf gegen die komplizierte Welt, die uns umgibt.

Christian Petzold, Andreas Dresen, Hans Weingartner, auch Sie leben in Berlin. Warum spielen Ihre Filme nicht hier?

Vielleicht weil uns der Ort so vertraut ist und deshalb als nicht erzählenswert erscheint. Und Berlin ist im Film schwer darstellbar. Die Suche nach dem Motiv für die erste Einstellung, in der Marko seinen Sohn an einem U-Bahn-Ausgang übernimmt, war die schwierigste im ganzen Film. Wo sieht Berlin klar nach Berlin aus, ohne dass es gleich der Alex ist, ohne dass man gleich Osten oder Westen assoziiert?

Warum haben Sie sich entschieden, die Geschichte vom Ausbruch und Verschwinden der Mutter im Rahmen eines Heimfahrwochenendes zu erzählen?

Weil wir alle diese Kurzaufenthalte im Elternhaus kennen und sie oft im Streit enden, obwohl wir uns eigentlich mehr Nähe wünschen und auch wissen, dass die gemeinsame Zeit die man noch miteinander hat, begrenzt ist. Man möchte den eigenen Eltern gegenüber den Eindruck erwecken, dass es einem gut geht, damit fängt die Lüge oft schon an. Man telefoniert zwar einmal die Woche, aber die Lebensläufe entwickeln sich auseinander. Bei den paar gemeinsamen Tagen im Jahr gibt es dann nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder man tauscht Nettigkeiten aus oder es geht ans Eingemachte.

Sie arbeiten seit Jahren mit dem gleichen Autor, Kameramann, Szenenbildner und Editor zusammen. Bringt auch eine Filmfamilie familiäre Probleme mit sich?

Es gibt weniger Erklärbedarf und Reibungsverluste, aber es kommt schon auch zu familientypischen Verhaltensauffälligkeiten. Der Kameramann weiß zum Beispiel genau, wie ungern ich Auflösung mache und vorab zu jeder Szene eine Einstellungsliste oder Skizze anfertige. Also lasse ich mir Ausreden einfallen und er bearbeitet mich mit Engelsgeduld wie ein Kind, das seine Hausaufgaben nicht machen will.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Hans-Christian Schmid, 47, gehört zu den profiliertesten Regisseuren des deutschen Films.

Dem im oberbayrischen Wallfahrtsort Altötting geborenen Absolventen der Münchner Filmhochschule gelang 1995 mit seinem Kinodebüt Nach fünf im Urwald ein Überraschungserfolg. Nach der Provinzkomödie

bewies er mit dem

Verschwörungsdrama 23 – Nichts ist so wie es scheint, der Verfilmung von Benjamin Leberts Entwicklungsroman Crazy und dem Exorzisten-Horrorfilm Requiem auch in anderen Genres sein Können.



Zuletzt war Sturm (2009) ein Thriller über den Strafgerichtshof in Den Haag und den langen Schatten der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien. Schmids neuer Film, das bei der Berlinale gefeierte Generationendrama Was bleibt, kommt am Donnerstag in die Kinos.

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