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Reisefieber im Blut. Hans Christoph Buch.

© Joachim Unseld/Frankfurter Verlagsanstalt

Hans Christoph Buch wird 70: Der Kapitän am Mastbaum

Weltreisender im Weltbürgerkrieg: Dem Schriftsteller Hans Christoph Buch zum 70. Geburtstag.

Mag sein, dass einem Diplomatensohn wie Hans Christoph Buch das Reisen in die Wiege gelegt war. Und sicher trug auch der Großvater, der eine Apotheke auf Haiti unterhielt, das Seine dazu bei. Jedenfalls haben koloniale Souvenirs den 1944 im mittelhessischen Wetzlar geborenen Schriftsteller und Publizisten in Gegenden getrieben, in denen er zugleich früh durch Erzählungen und Lektüre heimisch geworden war – nicht ganz anders als bei Bruce Chatwin, den es wegen einer patagonischen Faultierhaut im Großmutterschrank nach Feuerland verschlug. Aus alldem macht Buch seit 40 Jahren Literatur, deren weltumspannender Horizont seinesgleichen sucht.

Den Initialmomenten seines Reisens geht er nun in den Berner Poetikvorlesungen „Boat People“ nach. Er beschwört sein erstes selbstständiges Leseerlebnis, Wilhelm Hauffs „Karawane“: „Ich erinnere mich noch, dass ich statt Karawane ‚Karwamene’ sagte und das Wort ‚nebst’ nicht verstand.“ Und er bekennt: „Am tiefsten eingeprägt hat sich mir das Märchen vom Gespensterschiff wegen des an den Mastbaum genagelten Kapitäns, dessen von Bertall gezeichnetes Bild mich in Angst und Schrecken versetzte.“

Das Zitat ist der Beginn eines Parcours durch ein Motiv der deutschen Literaturgeschichte, von dessen Metamorphosen Buch über sieben Kapitel hinweg erzählt. Es geht um die orientalistische Romantik und Gespensterschiffe bei „Sindbad der Seefahrer“, um Heines und Wagners Varianten des „Fliegenden Holländer“, Thomas Manns „Tod in Venedig“ und Kafkas „Jäger Gracchus“, das Seeschlacht-Drama des vergessenen Expressionisten Reinhard Goering und den Totenschiff-Roman des Versteckspielers B. Traven bis zu einer feinsinnigen Lektüre von Geisterschiffen der Nachkriegszeit.

Buch empfiehlt „Nichts in Sicht“, die bitterböse Meerestodparabel des U-Bootkommandanten und späteren RIAS-Redakteurs Jens Rehn – neben Günter Grass’ Chronik des Gustloff-Infernos und Gert Loschütz’ Roman „Dunkle Gesellschaft“. Und es deutet sich ein maritimes Todesarten-Projekt an, das im weltliterarischen Ozean unter Sternen wie Homer, Shakespeare, Coleridge, Rimbaud oder Hans Henny Jahnn aufgehoben ist.Dabei gibt er auch Koordinaten seines eigenen Schreibens preis, die er schon einmal unter dem Titel einer „Poetik des kolonialen Blicks“ vorstellte. Wo sonst, wenn nicht auf Schiffen, wird das Verhältnis von geografischer „Nähe und Ferne“, das ihn bei seinen Frankfurter Poetikvorlesungen 1991 beschäftigte, ständig neu austariert? Und ist das fantasierte Geisterschiff nicht die beste Allegorie auf eine Literatur, die nach dem von Roland Barthes beschworenen Tod des Autors herkunftslos über die Ozeane der Sprache schlingert?

Buch hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass in seinem Herzen auch die Seele des Literaturwissenschaftlers schlägt.In den späten 60ern erwarb er sein Handwerkszeug bei Walter Höllerer, unter dessen Fittichen auch die Dissertation „Ut Pictura Poesis. Die Beschreibungsliteratur und ihre Kritiker von Lessing bis Lukács“ (1972) entstand. Oft deuten schon die Titel seiner Bücher an, wie literarisch anspielungsreich seine Reisebücher verfahren. „Die Hochzeit von Port-au-Prince“ (1984) bezieht sich ebenso auf Kleists „Verlobung in St. Domingo“ wie zuvor „Die Scheidung von San Domingo“ (1976), und die „Rede des toten Kolumbus am Tag des Jüngsten Gerichts“ (1992) zitiert Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab“.

Immer wieder kommt Buch auf Haiti zurück.

Immer wieder kommt er dabei auf Haiti zurück – den kolonialen Terror, die Sklaverei, den Terror einheimischer Eliten, die Naturkatastrophen, auf Voodoo, rohe Sinnlichkeit und tropisches Farbenspiel. Das postkoloniale Elend gerinnt bei Buch zu Bildern von schillernder Vieldeutigkeit, zu Geschichten von abgründigem Humor, in denen Europäer und Deutsche zwischen schwarzen Schenkeln, weißem Sand und roten Blutlachen immer wieder sich selbst und ihren Widersprüchen begegnen.

Aus den 90er Jahren verdanken wir ihm die facettenreichsten Augenzeugenberichte von den Bürgerkriegen in Afrika und Asien: Daraus hervorgegangen sind „Blut im Schuh“ (2001), in der gelungenen Mischung aus Literaturgeschichte, Essay und Reportage vielleicht sein Hauptwerk, und „Apokalypse Afrika“ (2010).

Stets betreiben seine Reportagen dabei auch eine für das Business unübliche Kritik der eigenen medien- und geopolitischen Perspektive, mit der man samt Pressecrew ins gecharterte First-Class-Hotel im Krisengebiet reist und kaum mehr sieht, als was man nicht bereits wusste.

Reflektionen über Joseph Conrad oder Peter Weiss wird man im Afrika-Jargon der TV-Kanäle vergeblich suchen. Zwischen dem 19. Jahrhundert, auf das sich viele seiner Erzählmuster zurückführen lassen, und der Gegenwart steht die Zeitmauer seiner Generation: 1968. Den aufklärerischen Impuls, der zum 68er-Aufbruch gehörte, hat sich Buch bewahrt, während die ideologischen Scheuklappen längst abgestreift sind.

Die Vorbilder für seine Art literarischen Engagements sind am ehesten in Frankreich zu finden – bei Antoine de Saint-Exupéry, Albert Camus oder André Malraux. Als jüngster Teilnehmer der Gruppe 47 hatte er 1966 seinen literaturbetrieblichen Einstand gefeiert.

In den 70ern gab er zeitweise das Rowohlt Literaturmagazin mit heraus. Mehrfach unterrichtete er an amerikanischen Universitäten. Das schönste Zeugnis dieser Zeit ist das 1983 bei Suhrkamp erschienene Notizbuch „Der Herbst des großen Kommunikators“ über den Alltag in der aufziehenden Reagan-Ära. Joseph Brodsky riet ihm einmal, man solle nur sich selbst zitieren, wenn man den Nobelpreis bekommen wolle. Das hat er nun gerade nicht nötig: Wenn Hans Christoph Buch über sich redet, begibt er sich lieber aufs Geisterschiff der Literatur; der Vorrat, den er dort findet, trägt ihn wie ein fliegender Teppich über all die Orte, die er bereist – seit über 30 Jahren von seinem Berliner Quartier in der Nähe des Spreebogens aus. Am heutigen Sonntag feiert er seinen 70. Geburtstag.

Hans Christoph Buch: Boat People. Literatur als Geisterschiff. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2014. 122 Seiten, 17,90 €.

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