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Filmszene aus dem einzigen chinesischen Wettbewerbsfilm, "Hao Ji Le".

© Berlinale

"Hao Ji Le" im Wettbewerb: Die Freiheit des Bauernmarktes

China im Wettbewerb: Im Animationsfilm „Hao Ji Le“ wird die Jagd nach einer Geldtasche zur schwarzhumorigen Kapitalismuskritik.

Männer mit Motorradhelmen, die Fleischermesser schwingen, kettenrauchende Berufsschläger und allerlei andere finstere Gestalten tummeln sich in „Hao Ji Le“ in einer namenlosen Stadt im südlichen China – und alle reißen sich um eine Tasche, prallvoll mit einer Million Yuan (was umgerechnet etwa 138 000 Euro sind). Die Tasche ist bloß ein filmischer Kunstgriff, ein MacGuffin, um die Protagonisten ans Äußerste zu treiben. In bester Pulp-Fiction-Manier führt die Jagd nach dem Geld zu den unwahrscheinlichsten Begegnungen, die allesamt unerfreulich enden.

Auslöser der gierigen Hatz ist der junge Xio Zhang, der als Fahrer auf einer Baustelle arbeitet. Während eines Jobs nutzt er die sich bietende Gelegenheit, überwältigt den Beifahrer und türmt mit dem Geld. Das braucht er, um seiner Freundin eine zweite Gesichts-OP in Korea zu finanzieren, nachdem bei einer ersten Operation in China ihr Gesicht entstellt wurde. Dem Verbrecherboss und Eigentümer der Tasche, den alle nur Onkel Liu nennen, passt das natürlich nicht, also schickt er seine Schergen, um das Geld zurückzuholen. Mittlerweile wittern aber auch andere ihre Chance auf den schnellen Reichtum.

Der Himmel: immer grau, die Landschaft: immer öde. Feinste Tristesse

Der Luxus des erwachsenen Animationsfilms war lange Zeit der, zu zeigen, was sich außer George A. Romero und Quentin Tarantino kaum jemand traute. Mittlerweile werden selbst im „Tatort“ Blutbäder angerichtet, Zeit für den Animationsfilm, eine andere Trumpfkarte auszuspielen: weglassen, was nicht gebraucht wird. „Hao Ji Le“, was im Übrigen Mandarin ist und „einen schönen Tag noch“ bedeutet, spielt ausgiebig mit diesem Element.

Detailverliebte Close-ups wechseln sich mit bedrückend präzisen Industrie-Panoramen ab. Bewegt im Bild sind nur jene Elemente, die von Bedeutung sind – eine Art dramaturgischer Autofokus. Der Himmel: immer grau, die Landschaft: immer öde. Feinste Tristesse.

„Hao Ji Le“ ist die zweite Regiearbeit von Liu Jian. 2010 kam „Piercing 1“ heraus, der in „Hao Ji Le“ übrigens einen „Cameo-Auftritt“ in Form eines Filmplakats hat. Darin flieht ein junger Chinese vor den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise vom Land in die Stadt und hat dort größte Mühe, über die Runden zu kommen. Letztlich gerät er mit dem Gesetz in Konflikt.

Kapitalismuskritische Momente hat Jian auch in „Hao Ji Le“ zuhauf eingebaut. Der wohl schönste Monolog zu diesem Thema stammt von einem Wachmann, der im Stil einer fernöstlichen Weisheit über die drei Freiheiten eines Menschen philosophiert: der Freiheit des Bauernmarktes, der des Supermarktes und der des Online-Shoppings. Je selbstverständlicher man sich in diesen Kreisen bewegen könne, desto freier sei ein jeder.

Plötzlich tönt Donald Trump aus dem Radio

Der Film ist voll von kleinen, schwarzhumorigen Anspielungen solcher Art, von Brexit bis Zuckerberg, von Donald Trump, der plötzlich im Originalton aus dem Autoradio tönt, bis Buddha.

„Hao Ji Le“, ist der einzige chinesische Film im Wettbewerb der Berlinale. Liu Jian, der Landschaftsmalerei in Nanjing studierte, hat auch diesmal nicht nur Regie geführt, sondern auch die Geschichte geschrieben. Schon „Piercing 1“ war eine Ein-Mann-Arbeit. Damals, 2007, gründete Jian ein eigenes Animationsstudio und arbeitete drei Jahre an seinem Debüt, nachdem er mit Erlaubnis seiner Frau die Wohnung verkaufte, das Ersparte aufbrauchte und sich von seinen Verwandten finanziell aushelfen ließ. Vielleicht war die Erfahrung nötig, um derart unterhaltsame Systemkritik made in China zu üben.

18.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 12.45 Uhr (HdBF), 22.30 Uhr (International), 19.2., 10 Uhr (HdBF)

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