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Harald Martenstein: Berlinale die Zweite

Asperger ist zurzeit offenbar das, was vor ein paar Jahren Borderline war, davor Hochbegabt, davor Depressionen und davor der Ödipuskomplex - Mainstream, auch im Kino.

Vor ein paar Wochen sagte ich auf einer Party zu einer Frau, dass ich Smalltalk hasse, da finde ich sogar Staubsaugen besser. „Sie haben sicher ein bisschen Asperger!“, antwortete die Frau. Das sei wie Autismus, nur anders. Asperger, das klingt doch eher wie eine Mineralwassermarke. Seitdem höre ich das Wort ständig. Asperger ist zurzeit offenbar das, was vor ein paar Jahren Borderline war, davor Hochbegabt, davor Depressionen und davor der Ödipuskomplex. Wenn du wichtig bist, musst du es haben, zumindest ein bisschen. Dann will ich also endlich mal einen Film mit Shah Rukh Khan sehen, dem indischen Superstar – und natürlich spielt Shah Rukh Khan einen Aspergerpatienten. Diese Krankheit ist so sehr Mainstream, dass man sich wundert, wieso das ZDF noch kein TV-Movie darüber gemacht hat, Veronica Ferres, auf einer Farm in Afrika und total auf Asperger.

Shah Rukh Khan ist in „My Name is Khan“ außerdem ein Moslem in den USA, der verdächtigt wird, Terrorist zu sein, der Islam ist quasi sein zweites Handicap. Wenn ein Held nicht ein, sondern zwei Hindernisse überwinden muss, dauert der Film meistens 165 Minuten. Shah Rukh Khan spielt Asperger, indem er mit dem Kopf wackelt und jeden Satz zehn Mal wiederholt. Nach etwa einer Stunde ist mir vor allem das Kopfwackeln mehr und mehr auf die Nerven gegangen. Wir reden hier nicht von echter Behinderung. Ich habe im Kino gesessen und gedacht, wenn Khan wirklich krank wäre, dann wäre ich verständnisvoll, aber er spielt es bloß, deswegen darf ich mir gestatten, genervt zu sein. Wie schön hat doch, im Vergleich, Dustin Hoffman den Autisten gespielt! Offenbar ist es auch so, dass man bei Asperger die Farbe Gelb nicht sehen will. Sobald Shah Rukh Khan auch nur von Ferne etwas Gelbes sah, bekam er einen hysterischen Anfall. Man kann, in der Therapie, also nicht die derzeit ebenfalls sehr beliebte Behandlung mit Eigen-Urin verwenden. Und wenn das ZDF sein Movie produziert, dann dürfen sie Veronica Ferres wegen ihrer Blondheit nie in den Spiegel schauen lassen, oder sie ist einfach ein aspergerkranker Vampir, im Spiegel sieht man Vampire eh nicht.

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