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Vor dem Vorspann. Martenstein an seinem Arbeitsplatz.

© C. Bertelsmann Verlag

Harald Martenstein: "Im Kino": Meine erste Liebe

Im Dunkeln sitzen und Leuten zusehen: Es gibt nichts Schöneres, als beruflich ins Kino zu gehen, findet Harald Martenstein. Bekenntnisse eines Kritikers und Kolumnisten

Seit vielen Jahren schreibt der Journalist und Romanautor Harald Martenstein im Tagesspiegel und anderswo auch über Kino. Und seit 1999 berichtet er als Kolumnist von der Berlinale – auch dieses Jahr wieder auf Seite 1 dieser Zeitung, ab 10. Februar. Seine Festivalbeobachtungen genießen Kultstatus, sie werden geliebt und gefürchtet. Nun bringt der Bertelsmann Verlag eine Sammlung von Martensteins Filmtexten heraus. Wir drucken hier das Vorwort von „Im Kino“ – und eine der Berlinale-Kolumnen in eigener Sache. An diesem Freitag, dem 27.1., lädt das Kino International zur Buchpremiere. Martenstein liest und diskutiert mit dem Filmjournalisten Knut Elstermann: Karl-Marx-Allee 33, Beginn 20 Uhr. Tickets 15 €, online 16.50 € (www.yorck.de/events).

Ich habe mit etwa zwanzig Jahren angefangen, professionell zu schreiben, bei einer Lokalzeitung. Es gibt kaum eine journalistische oder literarische Gattung, die ich seitdem nicht ausprobiert habe, zum Teil freiwillig, zum Teil auf Wunsch meiner Vorgesetzten und Auftraggeber. Lokalglossen, Kolumnen, Reportagen, Leitartikel, Romane, Essays, Kritiken, Werbetexte, Reden, Comictexte, Radiofeatures, Ghostwriting, ein Drehbuch, das zu Recht nicht genommen wurde, schlechte Gedichte und den ganzen anderen Kleinkram, das habe ich alles auf dem Kerbholz.

Ich bin kein Journalist, kein Reporter, kein Kritiker, kein Schriftsteller. Ich bin ein Schreiber. Das Schreiben gehört zu meinem Leben wie das Atmen, ich schreibe fast täglich. Das Schreiben macht mich manchmal glücklich, wie eine Droge. Schreiben ist ein Selbstgespräch, bei dem ich auf Dinge stoße, nennen Sie es meinetwegen „Erkenntnisse“, auf die ich ohne mein Schreibgerät niemals gekommen wäre. Schreiben und Lesen, immer hübsch abwechselnd, so sieht für mich das Paradies aus. Früher habe ich jedes gottverdammte Langweilerthema dankend akzeptiert, heute, als alter Knabe, erlaube ich mir den Luxus, wählerisch zu sein. Aber ich bin im Prinzip immer noch ein Allesfresser, wie mein Hund.

Das Kino ist für die - hoffentlich nicht ganz blöde - Masse gemacht

Weil das so ist, bin ich nie ein Spezialist geworden, ich habe mich zu oft und zu gern ablenken lassen. Nur als Filmkritiker hätte ich gut gelaunt alt werden können. Die Filme sind so verschieden, mit dem Film lässt sich so viel mehr anstellen als mit dem Theater, und du kannst an einem Tag drei Filme sehen, drei Romane täglich sind nicht zu schaffen. Ein langweiliger oder schlecht gemachter Film ist besser auszuhalten als schlechtes Theater oder schlechte Literatur. Ich mochte das Kino auch als Ort, weil ich schüchtern war und es mir gefiel, im Dunkeln zu sitzen und anderen Leuten zuzusehen.

Ein paar Jahre, drei, glaube ich, war ich Filmredakteur. Eine meiner neuen Mitarbeiterinnen verließ nach kurzer Zeit empört das Ressort, mit der Begründung, ich hätte keine Ahnung von Filmen. Das stimmte. Meine filmhistorische Bildung war und blieb lückenhaft, nicht zu vergleichen mit den echten Spezialisten, die pro Jahr 200 Filme sehen oder mehr. Ich habe in meinen besten Zeiten höchstens 100 geschafft, heute sind es viel weniger. Aber das Kino, sagte ich mir, wird für Leute wie mich gemacht, für die hoffentlich nicht ganz blöde Masse, nicht für die Handvoll Spezialisten, deshalb ist es in Ordnung, wenn ich mir dazu eine Meinung erlaube.

Am Ende ist es, als erwache ich aus einem Traum

Ein Film, den ich mögen soll, muss mich unterhalten, aber das kann auf tausend Arten geschehen, ruhig auch auf eine komplizierte, langsame und elaborierte. Filme, die klüger erscheinen wollen, als sie es sind, Angeber- und Bescheidwisserfilme, Werbefilme für eine bestimmte Meinung, manipulativen Kitsch und ranschmeißerische Zielgruppenfilme mag ich zum Beispiel nicht. Ich muss spüren, dass die Filmemacher nicht in erster Linie auf einem Egotrip sind oder einfach ein kommerzielles Rezept anwenden, ich will spüren, dass sie bei ihrer Arbeit an ihr Thema gedacht haben und an mich, ihr Publikum, dass sie auf der Suche waren nach etwas. Im Idealfall vergesse ich dann alles, auch, dass ich hinterher eine Kritik schreiben muss. Ich lasse mich willen- und meinungslos treiben in diesem Film und am Ende ist es, als erwache ich aus einem Traum.

Kritiken sollten ebenfalls unterhaltsam und ehrlich sein, sie müssen eine Meinung riskieren und damit das Risiko der Irrtums. Kritiken sollten sich nicht lesen wie ein Lexikonartikel, sie dürfen ihre Subjektivität ruhig offen ausstellen. Dann fühle ich mich ernst genommen. Da ist ein Mensch, dessen charakterliche Konturen ich bei der Lektüre erahnen kann, da spricht keine höhere Instanz zu mir, „die Zeitung“, „die Kritik“, „der Sender“, sondern einer wie ich. Er sagt klar, was er denkt, aber er lässt durchblicken, dass ein anderer Zuschauer vielleicht zu einem anderen Urteil gelangen könnte.

Ein Buch über Filme, Filmschaffende, das ganze Drumherum

Eines Tages bekamen wir im Ressort einen neuen Chef, mit dem ich nicht klarkam. Ich kündigte, und als ich nach einiger Zeit zu der alten Zeitung zurückkehrte, war dieser Chef weg und ein Kollege war inzwischen Filmredakteur, so wurde ich für ein paar Jahre Reporter. Auch schön! Kritiken habe ich nur noch selten geschrieben, aber während der Berlinale sollte ich eine tägliche Kolumne verfassen. Dies tue ich jetzt schon seit einer Ewigkeit, bald 20 Jahre, fürchte ich – davor, die genaue Zahl nachzuschlagen, habe ich ein bisschen Angst. Die Texte dieses Buches beruhen zum größten Teil auf den neueren dieser Kolumnen, sie wurden überarbeitet, manchmal umgeschrieben. Es ist also nicht nur ein Buch über Filme, Filmschaffende und das ganze Drumherum, sondern auch weitgehend ein Buch über die Berlinale, das wichtigste deutsche Filmfestival und alljährlich größte Kulturereignis dieser nicht gerade ereignisarmen Stadt. Ich liebe die Berlinale, auch wenn ich mich oft genug über einzelne Aspekte des Festivals lustig gemacht habe. Wissen Sie, ich bin in der Stadt Mainz geboren, da gehört es zum guten Ton, sich auch über Personen und Ereignisse lustig zu machen, die man im Grunde mag.

Warum habe ich dieses Buch zusammengestellt? Weil ich hoffe, dass ein paar Leute es unterhaltsam finden und weil es vielleicht ein paar Erkenntnisse enthält, auf die ich nie gekommen wäre, wenn ich nicht schreiben würde.

Harald Martenstein: „Im Kino“. C. Bertelsmann Verlag, 208 S., 16,99 €

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