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Emotionaler Druck. Camilla Nylund als Leonore in Harry Kupfers „Fidelio“-Inszenierung.

© Gregor Fischer/dpa

Harry Kupfer und sein "Fidelio": Treu und Glauben

Lauter meisterliche Sänger und Sängerinnen: Daniel Barenboim und sein Regisseur Harry Kupfer ringen an der Berliner Staatsoper um Beethovens „Fidelio“.

Es gibt Inszenierungen, die setzen sich mit einem ganz bestimmten szenischen Eindruck in der Erinnerung fest. Mag der Abend noch so vielschichtig gewesen sein, dieser eine Schnappschuss wird beim Gedanken an das Live-Erlebnis sofort vor dem inneren Auge abgerufen. Im Fall von Harry Kupfers 1997er „Fidelio“- Deutung an der Komischen Oper ist es eine Reihe von Blumentöpfen. Auf der leeren Drehbühne hat Marzelline, die Tochter des Gefängniswärters Rocco, versucht, einen Hauch von Geborgenheit zu schaffen in dieser feindlichen Umgebung. Doch das florale Arrangement wird schon bald rücksichtslos zertrampelt, von den Schergen des Gouverneurs Pizarro, der hier seinen Widersacher Florestan eingekerkert hält.

19 Jahre später hat Harry Kupfer Beethovens einzige Oper nun erneut in Berlin inszeniert, auf Einladung von Daniel Barenboim im Schillertheater. Diesmal allerdings spielt die Musik die Hauptrolle. Wie Barenboim die Ouvertüre gestaltet, das darf man ruhig exzentrisch nennen. Sehr breit nimmt er den Beginn, entfernt sich maximal vom Wiener-Klassik-Klang, lässt abstrakte Klangflächen entstehen, aus denen nur ab und an Melodiefragmente herausragen.

Wie im Zwielicht erscheint hier alles, ohne klar erkennbare Konturen. Schließlich gibt es eine Stauchung, wie zusammengeschoben wirken die Instrumentalstimmen. Zögerlich wagen sich die Holzbläser mit ihrem Gesang hervor, dann erstirbt das Ganze wieder, bevor wie aus weitester Ferne, pianissimo, das Jubelthema aufscheint, anschwillt, an Energie gewinnt und sich schließlich gewittrig entlädt. Erst wenige Minuten sind da verstrichen, doch das Publikum ist bereits komplett durchgerüttelt, sitzt wie betäubt da, während das Vorspiel seinem Höhepunkt entgegen strebt, wobei zum Trompetensignal, das später Florestans Rettung bedeuten wird, kurz das Bühnenlicht angeht und hinter dem Gaze-Vorhang eine Beethoven-Büste auf einem Konzertflügel sichtbar macht. Ein magischer Sog geht von Barenboims Dirigat an diesem Tag der Deutschen Einheit aus, so reich wie sonst nach einer ganzen Sinfonie sind die Sinneseindrücke, die der Hörer erhält.

Nur im Jubelfinale muss Camilla Nylund ihre lyrische Stimme grenzwertig ausreizen

Was oft als Schwäche der Oper ausgelegt wird, dass nämlich nach der dramatischen Ouvertüre zunächst eine harmlose Singspielhandlung einsetzt, in der es um die unerwiderte Zuneigung des Pförtners Jaquino zu Marzelline geht, erweist sich hier als Glücksfall. Weil der emotionale Druck, der auf die Dauer kaum auszuhalten wäre, erst einmal nachlässt, weil mit Evelin Novak und Florian Hoffmann zwei Interpreten auftreten, die sich auf allerliebste Weise zu zanken verstehen. Und weil anschließend im Quartett die kaum in Gang gekommene Geschichte gleich noch einmal ausgebremst wird, Barenboim den fein verwobenen Kantilenen der vier Protagonisten alle Zeit gibt, um sich in Schönheit zu entfalten.

Camilla Nylunds Leonore und Matti Salminens Rocco passen vokal aber auch perfekt zu Evelin Novak und Florian Hoffmann. Der Finne vermag auch nach 50 Jahren auf den Bühnen der Welt noch mühelos, Bassbuffo-Jovialität auszustrahlen. Und die Sopranistin kann der Titelheldin, die sich Fidelio nennt und als Mann verkleidet ihren zu Unrecht inhaftierten Gatten retten wird, sanftere Herzenstöne mitgeben als viele ihrer Soprankolleginnen. Nur im Jubelfinale wird Camilla Nylund ihre lyrische Stimme dann grenzwertig ausreizen müssen, um mit Andreas Schagers Florestan mithalten zu können – obwohl der Tenor nach Kräften versucht, sein ungemein wuchtiges Heldenorgan zu bändigen.

Dieser „Fidelio“ werde seine allerletzte Premiere sein, hatte Matti Salminen vor der Aufführung angekündigt. Ein Freundschaftsdienst für seinen Freund Daniel Barenboim. Überhaupt scheint der Maestro gerade nostalgische Züge zu entwickeln. Im vergangenen Jahr hatte er für die „Meistersinger“ gleich ein halbes Dutzend Sängerlegenden engagiert, angeführt vom 91-jährigen Franz Mazura. Und auch jetzt sind wieder jede Menge alte Bekannte dabei: Wie viele Projekte hat er mit dem 1935 geborenen Harry Kupfer und dessen Lieblingsbühnenbildner Hans Schavernoch nicht schon realisiert! Und wie oft stand dabei Matti Salminens Name auf dem Besetzungszettel oder der von Falk Struckmann, der jetzt einen hartstimmigen Pizarro singt. Oder der von Roman Trekel, seit 1988 Ensemblemitglied der Staatsoper, der hier als Minister seine Kunstlied-Gestalter-Kompetenz einbringt. Zählt man den Staatsopern-Musikchef hinzu, ergibt sich ein Sextett mit 285 Jahren Berufserfahrung auf der Bühne.

Als im Text von Freiheit die Rede ist, wird es beklemmend

Harry Kupfers Personenführung ist angenehm minimalistisch. Ohne Überraschungen erzählt er die Geschichte, die Sänger wissen ganz genau, wie und warum sie mit wem gerade kommunizieren. Jeder Blickwechsel kommt punktgenau, jede Bewegung sitzt. Wenn Rocco den Gefangenen einen Freigang gewährt, stürzen sie zwar zunächst ungeordnet auf die Bühne, formieren sich dann aber, von Angst und Gewohnheit getrieben, schnell in Reih’ und Glied.

Das ist beklemmend, ebenso wie die Bewegung, die kurz in die Gruppe kommt, als im Text von Freiheit die Rede ist. Arg übertrieben realistisch wirkt dagegen das Hantieren mit den Steinplatten in der Kerkerszene, die durch deutlich hörbares Knirschen ihr Herstellungsmaterial verraten: Styropor. Problematisch wird Kupfers Ansatz dort, wo der Regisseur die Identifikation der Zuschauer mit den Bühnenfiguren dadurch brechen will, dass er die Sänger in denkbar hässliche Alltagsklamotten (Kostüme: Yan Tax) steckt und immer wieder aus dem realistischen Spiel aussteigen lässt. Das hat er schon 1997 an der Komischen Oper so gemacht.

Hier aber zieht die Brecht-Masche nicht. Denn zum einen fuchteln zwar alle Beteiligten ständig mit dem „Fidelio“–Klavierauszug herum, wirklich in die Noten schaut beim Singen aber keiner. Und zum anderen wird die ganze pädagogische Chose noch vom Bühnenbild penetrantplakativ verdoppelt. Hans Schavernoch ist nämlich nichts weiter eingefallen als eine Zellenwand mit eingeritzten Botschaften der Häftlinge, vor die sich bei Bedarf – Achtung, hier wird das Leben nur simuliert! – ein Megaposter des Goldenen Saals im Wiener Musikverein senkt.

Schade, schade! Denn die hypnotische Wirkung von Barenboims Zugriff auf die Partitur, sein Mut, den edlen Klang der Staatskapelle aufzurauen, ja die Musik bewusst schrundig, roh, eben existentiell klingen zu lassen, weil es hier wirklich um Leben und Tod geht, all das verpufft im feierlichen Finale, das in der Pseudo-Probensituation zum Stehrumchen mutiert, überlang und lärmig.

Wieder am 7., 9., 14., 16., 25. u. 28. 10.

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