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Kultur: Hase im Öl

Der Berliner Maler Erik Schmidt geht auf Jagd. Seine Beute sind Bilder und ein bitterböser Film

Eine feine Tischgesellschaft: Die Damen tragen große Garderobe mit viel Dekolletee, die Herren Smoking. Gelächter brandet auf, Gläser klirren, das Gemurmel gepflegter Konversation liegt im Raum. Die Kamera pirscht sich mal an den einen, mal an den anderen Protagonisten heran, fängt dort einen bedeutungsschwangeren Blick auf, beobachtet da die lebhafte Gestik eines Gastes. Ja, so könnte ein Krimi à la Chabrol beginnen oder der böse Blick eines Bunuel auf die oberen Zehntausend aussehen. Denn zum gediegenen Mahl im Schloss fügen sich Jagdszenen mit dampfenden Pferdeleibern im vollen Galopp, hysterisches Hecheln einer Hundemeute oder das anschließende Ausweiden der erlegten Beute.

Der Berliner Künstler Erik Schmidt gibt hier den Jäger, inmitten einer realen Adelsgesellschaft, die sich selber spielt. Schmidt beherrscht die Mimikry desjenigen, der sich die soziale Rolle anverwandelt. Die Handlung seines knapp 15-minütigen Films aber kippt, als er im hellen Stadtanzug unversehens allein im Wald steht und selbst zum Gejagten wird. Auf einer Lichtung tritt er seinem Verfolger entgegen, umarmt ihn zunächst freundschaftlich, gewinnt dann die Oberhand und wälzt sich am Ende mit ihm im Schlamm. Der feine Zwirn, der edle Tweed werden vollkommen verdreckt, der Benimm ist vergessen, die Konvention zerbricht. Der Künstler hat über sich die Kontrolle verloren, auch wenn er selbst die Regie führt.

„Hunting grounds“ nennt Schmidt sein Stück, das sich wie eine Parabel auf die Position des Künstlers, des Homosexuellen, der er ebenfalls ist, in unserer Gesellschaft lesen lässt. Die zufällige Bekanntschaft mit einer Schlossherrin hat dem Spross eines Autohändlers Zutritt in die Zirkel adeliger Jagdgesellschaften verschafft. Immer auf der Suche nach fest umrissenen Formen einer Sozietät, an denen sich Abgrenzungsrituale, Distinktionsmethoden, Kleidungscodes ablesen lassen, war das blaublütige Halali für sein Setting geradezu perfekt.

Doch, ihm selbst hat das Jagen auch Spaß gemacht, betont der 38-Jährige immer wieder, noch heute ginge er begeistert mit. „Ich beobachte gerne, bin aber ebenso gerne dabei“, beschreibt er seine Methode des Selbstversuchs, die er auch schon bei seinen Verfolgungen großstädtischer Anzugträger angewandt hat. Damals entstand ebenfalls ein Film, an dessen Ende der perfekt gestylte Künstler in einen Swimmingpool stürzt und unter Wasser die Fasson verliert.

Stilbewusstsein beginnt für ihn schon im Alltag, nicht erst im Film. Heute trägt er unter seinem anthrazitfarbenen Pullover ein schwarz-weiß kariertes Hemd mit schmaler Krawatte, Jeans und spitze, lange Schuhe. Alles sehr dezent, bewusst ausgewählt und kombiniert. Aber nein, solche Kleidung würde er beim Malen natürlich niemals tragen. In der Atelierecke hängt ein befleckter Overall. Mit dem Arbeitstextil verbindet sich seine eigentliche Profession, denn Erik Schmidt ist Maler. Die Filme produziert er parallel; nur bei „Hunting grounds“ stand zuerst die Idee für den Dreh.

Hinter dem vieldeutigen Titel („Jagdgründe“) verbirgt sich ein komplexes Projekt: Film, Malerei, Fotografien, Zeichnungen, eine komplette Ausstellung mit über siebzig Werken. Gezeigt wird sie ab heute am Ort der Ursprungsidee, in Herford, woher Schmidt selber stammt. Unweit, auf Schloss Wendlinghausen am Teutoburger Wald wurde der Jagdfilm gedreht.

Wenige Tage bevor er zur Einrichtung seiner ersten eigenen Museumsausstellung im Marta Herford aufbricht, scheint der gefragte Künstler, der eine Ausbildung zum Illustrator an der Fachhochschule Hamburg absolvierte, selbst noch ein wenig verwundert über solche Zufälligkeiten des Lebens. Doch Jan Hoet, der belgische Direktor des Marta Herford und ehemalige Documenta-Macher, unterstützte den seit 1999 in Berlin lebenden Maler bei seinem mehrjährigen Filmprojekt. Die kreative Spannung zwischen Großstadtbohemien und archaischem Jagdritual hat ihn offensichtlich selbst interessiert.

Im Weddinger Atelier von Erik Schmidt stehen noch drei unfertige Werke, an einer Wand pinnen farbige Kopien von Jagdfotografien. Auch wenn er in der abgeteilten Fabriketage erst seit drei Wochen residiert und sie deshalb kaum eingerichtet wirkt, hat Schmidt hier schon hart gearbeitet; für die riesigen Säle des Marta Herford mussten noch mehr Bilder her. Mitten im Raum stehen mehrere metallene Ständer, auf die der Künstler seine Bilder flach auflegt, um die vorgezeichneten Konturen auszumalen. Zuvor hat er via Overhead- Projektor die Motive auf die Leinwand geworfen.

Das Ergebnis sind satte, grellfarbige Gemälde von einer geradezu haptischen Qualität. Der Betrachter ist gezwungen zurückzutreten, um das Motiv erkennen zu können und nicht nur das Gewusel der Pinselstriche, die dicht gespachtelten Passagen zu sehen. Diese an postimpressionistische Malerei erinnernde Methode passt zum Motiv, den Jagdszenen. Beides, Form und Inhalt, fällt eigentlich aus der Zeit, ist anachronistisch. Was seine Vorteile hat: Auf dem schier unübersichtlich gewordenen Markt sind Bilder von Erik Schmidt stets sofort erkennbar. „Natürlich habe ich vom Boom der Leipziger Malerschule profitiert“, gibt er zu. Und doch steht er mit seinen Gemälden heute glücklich allein da, ist keiner Richtung zugeordnet.

Für die Ausstellung in Herford mussten seine Bilder aus aller Welt zusammengeholt werden, viele aus Privatkollektionen in den USA. Die westfälischen Jagdfreunde kauften sich bis auf zwei Ausnahmen allerdings nicht bei dem Maler ein; dort blieb er als Künstler der Fremde.

Marta Herford, bis 11. März. Katalog (HatjeCantz Verlag) 35 Euro.

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