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''Hass'': Jugend ist eine Waffe

Null Chance: Sebastian Nübling inszeniert „Hass“ nach dem Film von Mathieu Kassovitz in den Münchner Kammerspielen.

Auf dem Weg zum Theater regiert Josef Schmid die Szene. Schmid ist von der CSU und will demnächst Bürgermeister werden in München. Vermutlich wird das nichts, denn die SPD tritt erneut mit ihrem Bürgerkönig Christian Ude an. Aber Schmid hat wenigstens die meisten Plakate geklebt. Der Hauptslogan heißt „Was zählt ist München“, und dass ein Komma fehlt, war lange Zeit das Aufregendste an der Kampagne. Seit den örtlichen U-Bahn-Übergriffen jedoch hat Schmid ein echtes Thema gefunden: Jugendkriminalität – und dirigiert jetzt den Chor der Scheinheiligen.

Naturgemäß ist das Theater schwerlich in der Lage, sich aktuell einzumischen. Die Münchner Kammerspiele unter Frank Baumbauer jedoch sind der Zeit sogar manchmal voraus. So wurde schon vor Jahren versucht, ein theatralisches Band zum Münchner Problemstadtteil Hasenbergl zu knüpfen. Zur Premiere von „Hass“ sind etliche Teilnehmer des Projekts „Bunny Hill“ in den Kammerspielen an der Maximilianstraße. Man redet also nicht nur übereinander, sondern zur Sache.

„Hass“, in einer Fassung des Regisseurs Sebastian Nübling, der Dramaturgin Julia Lochte und des Drei-Frauen-Ensembles, geht im Kern zurück auf den Film „La Haine“ von Mathieu Kassovitz, der 1995 im Kino zeigte, dass es in den Pariser Banlieus buchstäblich kurz vor Zwölf sei. Zehn Jahre später war Frankreich entsetzt, dass keiner die Zeiger angehalten hatte. Nunmehr ist der damalige Innenminister, der die Vorstädte am liebsten „durchgekärchert“ hätte, Präsident, und inszeniert sein Leben als Seifenoper – kleiner Mann, gerne groß. Geändert hat sich in den Banlieus: nichts.

Nun ist die französische Problematik in ihrer Drastik nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar, so dass für ein hiesiges Theater allenfalls eine Variation infrage kommt. Sebastian Nübling, einer der musikalischsten Schauspielregisseure, ist da der Richtige. Geschickt ändert er zunächst die Vorzeichen: aus drei männlichen Jugendlichen werden drei junge Frauen. Katharina Schubert, Brigitte Hobmeier und Katja Bürkle spielen Kerle, die ihrerseits versuchen, Männer zu spielen und sich entsprechend monströs benehmen. Sie keilen um sich, kiffen und reißen in einem fort das Maul auf („Mohammed, ich kann grad nicht, ich bin am bumsen, ich ruf dich zurück“) – sind dann aber der Realität doch gewachsen und greifen im Zweifelsfall zur Waffe. Die ethnischen Unterschiede zwischen den Figuren spielen bei Nübling keine Rolle mehr. Für ihn sind sie die Drei von der Zankstelle. Wo im Film die dunkle Katastrophe droht, ist auf dem Theater der schwarze Humor nicht weit. Nübling dreht gewaltig auf, um keinen Stillstand zu produzieren. Sein Set ist ständig in Bewegung, immer schrillt ein Mobiltelefon. Dabei können sich seine drei Schauspielerinnen kaum rühren. Von Anfang an stehen sie inmitten gewaltiger Pappkartonberge; das sind die Vorstädte. Ab und zu kreischt eine Presse auf, und es regnet neuen Dreck von oben. Am Ende begräbt er die Drei.

Von der Waffe abgesehen, deren Gebrauch Hubert und Said dem potenziellen Rächer Vinz am Ende ausreden (!) können, ist eben allein die Sprache das, was noch nicht stumpf geworden ist. Anfangs versteckt sich die jeweilige Originalität zwar hinter den üblichen Obszönitäten und Anmachritualen, verselbstständigt sich dann jedoch bei jeder Einzelnen: Katharina Schubert ist die Rapperin („und ich sag, und er sagt“), Katja Bürkle die wirklich Coole („da hast du deinen Schlüssel ins falsche Loch gesteckt, Farida hat Aids“), und Brigitte Hobmeier ein ständig vor der Explosion stehender Vulkan („die Knarre verschafft mir Respekt“). Zu sehen sind Rollenspiele, Mutproben, Kraftmeiereien. Da die Frauen ausdrücklich spielen, was die Männer Ernst meinen, hat das Grauen immer einen Zug ins Groteske. Wenn sie nämlich außer sich geraten, treten die drei auch meistens direkt neben sich: zücken das Fotohandy und dokumentieren – eine Rolle. Das macht die Geschichte harmloser, als sie einmal gemeint gewesen war.

Das Münchner Publikum reagiert zunächst verhalten, dann mitunter schon fast hysterisch mitlachbereit, sobald ein Wort, das hier das andere gibt, wieder nur aus vier Buchstaben besteht, und erhebt sich dann nach großem Beifall kollektiv ein wenig ratlos. Mehrere Male erörtern die drei Frauen, wie verachtenswert es ist, wenn die Leute, die es besser wissen, ihre Meinung im Sitzen kultivieren. Ersatzweise treten die drei Schwestern im Geiste in Nüblings pointiert dirigiertem, hochfeinem Sprechtheater mit Wut und viel Wonne gegen alles Mögliche. Oft treffen sie ins Schwarze. Doch so richtig weiter weiß zur Zeit auch das Theater nicht.

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