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Kultur: Hasstiraden , Liebesnächte Die Deutsche Filmakademie stellt sich der Öffentlichkeit

„Das aseptische, das geleckte, das biedere, das breitbeinige, das verklemmte, das pseudoamerikanische, apolitische, politisch Korrekte, irgendeiner Aktualität nachrennende, verzweifelt nach Skandal schielende Kino.“ Tom Tykwer spricht leise und schnell und träumt einen Hasstraum vom deutschen Kino, einen atemlosen, fantastischen, zornigen, gnadenlos zärtlichen Traum, dessen Bilder verschwimmen.

„Das aseptische, das geleckte, das biedere, das breitbeinige, das verklemmte, das pseudoamerikanische, apolitische, politisch Korrekte, irgendeiner Aktualität nachrennende, verzweifelt nach Skandal schielende Kino.“ Tom Tykwer spricht leise und schnell und träumt einen Hasstraum vom deutschen Kino, einen atemlosen, fantastischen, zornigen, gnadenlos zärtlichen Traum, dessen Bilder verschwimmen.Draußen beginnt es zu schneien, drin, im übervollen Saal der Berliner Akademie der Künste, versammelt sich die Deutsche Filmakademie – rund 400 Mitglieder hat sie seit der Gründung vor fünf Monaten geworben. Und Tykwer holt zur rasanten verbalen Kamerafahrt aus. Wenn sein Text ein Film wäre, er wäre eine Wucht.

Im Publikum sitzen Doris Dörrie und die Thalbachs, Michael Ballhaus und Axel Milberg, auf’s Podium steigen nacheinander Tykwer und Jürgen Vogel, Michael Verhoeven, Dominik Graf, Rosa von Praunheim, Corinna Harfouch, Florian Gallenberger, Oskar Roehler, Bernd Eichinger. Nein, es wird nicht diskutiert. Heute ist Tag der Bekenntnisse, Geständnisse, Sehnsuchtsseufzer. Also wird nicht darüber gestritten, wie gut oder gefährlich es ist, wenn die Akademie künftig die Deutschen Filmpreise und am Ende sogar die damit verbundenen staatlichen Fördergelder vergibt. Titel der ersten öffentlichen Veranstaltung der Akademie: „Was ich am deutschen Film hasse!“ Ausrufezeichen.

Das kann ja heiter werden. Wenn schon Familie, dann trotz freundlichem Grußwort von Senta Berger, trotz der Krankmeldungen von Günter Rohrbach (Wolfgang Becker hat einen Hexenschuss, das Kind von Caroline Link ist krank, und Leander Haußmanns 100-jähriger Opa liegt im Sterben) bitte keine voreilige Harmonie und schon gar keine Wehleidigkeit. Stattdessen Paukenschläge, Adrenalinstöße, Querschläger.

Jürgen Vogel lässt ein rotes Cabrio durch’s Bild brausen, stellt sich eine geile Kamerafahrt vor und verwirft sie gleich: Wenn unsereins versucht, französisch locker zu sein, kann das nur schief gehen. Wir sind deutsche Spießer!, ruft Vogel. Es klingt wie eine Aufforderung zur Anarchie. Dominik Graf überbringt Caroline Links Appell, mehr erwachsene Filme für erwachsene Kinder zu drehen. Er selbst will eine Prise „New Hollywood“: die Straße des wirklichen Lebens und die Wolken darüber, Radikalität und Melancholie. Worauf Corinna Harfouch die Brille aufsetzt und – melancholisch wird. Oskar Roehler deliriert sich so virtuos wie verstörend in das Chaos im eigenen Kopf hinein, und Bernd Eichinger schickt ein bayrisches „Kruzifix nochmal“ hinterher. Auf dass die Filmkollegen nicht mehr permanent beleidigt sein mögen.

„Deine Rede“, hatte Rosa von Praunheim nach Michael Verhoevens bräsig stimmungstötendem Statement gesagt und sich ein Kondomblumenmützchen aufgesetzt, „fand ich ziemlich lahmarschig“. Fast schon wie der deutsche Film sei das. Praunheim schimpft, wie es seine Art ist, wild, vergnügt, sarkastisch. Schafft die Filmschulen ab! Führt die Prügelstrafe ein! Mehr Selbstmordanschläge! Sein Rezept zur Verbesserung des deutschen Films ist kannibalischer Natur: Man nehme „das Hirn von Wim Wenders, das Herz von Tykwer, den Schwanz von Andreas Dresen, Christian Petzolds Augen, Romuald Karmakars Arsch und die Galle von Andres Veiel.“ Applaus.

Das Rezept hat es in sich: Wenn diese Veranstaltung ein von den Rednern gemeinsam verfertigter Film wäre, bräuchte es keine Hasstiraden. Gut, ganz ohne Jammern geht es (noch) nicht. Von Einsamkeit ist die Rede, von Identität (Jürgen Vogel: „Ich hasse das Wort!“), von Gremiendschungel und Gängelung durch die TV-Sender. Das alte Lied. Aber es schwingen neue Tonarten mit, seltsame Dissonanzen aus Pathos und Panik, Kampfeslust und Selbstironie, Poesie und Politik. Kino als Kunst der Extreme: Ach, wäre es schön, die auch in deutschen Filmen zu sehen.

Tom Tykwers Traumnacht mündet in einer Liebeserklärung. An „das Schimmern von Marie Bäumer, das Lächeln von Hannelore Elsner, das Strahlen von Franka Potente, das Grinsen von Moritz Bleibtreu, das Geiern von Jürgen Vogel“ undsoweiter ohne Ende. Als er bei der Lakonie von Detlev Buck angelangt ist, klingelt der Wecker.

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