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Kultur: Hat das Erinnern Zukunft?

Das Erbe des Faschismus in Spanien und Deutschland: eine Berliner Tagung

In Berlin wurde erst vor zwei Monaten die große Hitler-Statue vom Johannesplatz entfernt, das Mausoleum des Führers ist weiterhin Wallfahrtsort für Hunderttausende, und die Öffnung der Massengräber kommt nur schleppend voran. Noch immer warten 30000 Tote auf ihre Identifizierung. Horrend? Undenkbar? Ersetzt man Hitler durch Franco und Berlin durch Madrid, dann stimmen diese Meldungen. Denn dreißig Jahre nach seinem Tod ist der Caudillo in Spanien noch immer präsent. Doch es scheint, als ob nun endgültig Francos Stunde schlage. Spanien lässt die Tabuisierung der Diktatur und ihrer Verbrechen doch hinter sich. Dass vor allem die spanische Zivilgesellschaft, weniger die politische Klasse, auf eine „Kultur des Erinnerns“ drängt, zeigte eine prominent besetzte gemeinsame Tagung des spanischen Instituto Cervantes und des Goethe-Instituts in Berlin.

Mit einem Vergleich der „Vergangenheitsbewältigung in Spanien und Deutschland“ wollte man sich, bei aller Unvergleichlichkeit des Holocaust, nicht lange aufhalten. Der Schriftsteller Jorge Semprun und Spaniens Außenminister Miguel Angel Moratinos, die gemeinsam mit Joschka Fischer die Konferenz eröffneten, sahen den deutschen Umgang mit dem Nationalsozialismus als „Vorbild“. Darauf reagierten die deutschen Teilnehmer fast befremdet und sprachen das unübersetzbare Wort „Vergangenheitsbewältigung“ nur mit dem Zusatz aus, eine Bewältigung sei natürlich unmöglich. Der Historiker Norbert Frei erinnerte daran, dass sich die Vergangenheitsbewältigung einst gegen das Beschweigen richtete – heute klingt darin Schlussstrich an.

Ob Spanien von Deutschland lernen kann, ist zu bezweifeln. Abgeklärt schilderte Frei als letzte Phase die Versöhnung der 68er-Generation mit ihren einst kritisch befragten Eltern. Der Sozialphilosoph Harald Welzer dagegen meinte, uns fehle jeder Begriff für die Nachhaltigkeit der Gewalterfahrung. Er mochte angesichts der Pop-Faszination, die der Nationalsozialismus auf eine Gegenwart ohne Utopie ausübe, keine Prognose über die Zukunft der Erinnerung abgeben.

Auf die deutsche Ratlosigkeit antwortete spanische Aufbruchsstimmung. Nur der Historiker Santos Juliá lobte die bisherige „Zurückhaltung“ der Politik; sie habe die Nation um der Zukunft willen geeint. Von Verschweigen könne keine Rede sein, denn die Menschen hätten das „unnütze Blutbad“ des Bürgerkriegs erinnert. Diese „Heiligsprechung der Transicion“, wie es sein Kollege Albert Reig Tapia nannte, stößt zunehmend auf Kritik.

Die schwerste Hypothek dieses gewaltlosen Übergangs von der Diktatur zur Demokratie ist die von Francos Falange ausgehandelte Amnestie für Verbrechen durch Rechte wie Linke. Die Amnestie sorgte für Amnesie: Die Gleichsetzung von Tätern und Opfern, Putschisten und Verfassungstreuen ist bis heute unangefochten. Der Philosoph Reyes Mate griff auf Benjamin, Adorno und Brecht zurück, um einen Begriff vom Opfer als dem in der Geschichte Zerstörten und unsichtbar Gewordenen zu gewinnen.

Selbst ein Emilio Silva, der Massengräber exhumiert, möchte für die 30 000 toten Republikaner nur „das Gleiche“ erreichen wie für die Falangisten: eine ehrenvolle Bestattung. Der Journalist erzählte von ergreifenden Szenen, wann immer Zeitzeugen die lang vermisste Anerkennung erfahren, die ihnen noch die letzte Regierung unter Aznar versagte. Erfahrungen und Unternehmungen wie die von Silva könnten die Kristallisationspunkte eines neuen historischen Bewusstseins werden, durch sie erinnert sich die spanische Gesellschaft. Dagegen regiert in Deutschland die Erinnerungspolitik, deren Verankerung im individuellen Gedächtnis durchaus unsicher ist. Was ist nun vorbildlich? Die Tagung im Instituto Cervantes hat da vielleicht einen Lernprozess in beide Richtungen angestoßen.

Jörg Plath

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