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Kultur: Hat Intendant Freytag das Stück absichtlich vor den Felsen gesetzt, damit alle es krachen hören?

Er gilt als der Prototyp des Aufklärers, der Titanenspross Prometheus. Zur Strafe dafür, dass er den Menschen das göttliche Feuer des Theaters brachte und ihnen damit half, mündig zu werden, ließ ihn Zeus an den Felsen einer fusionierten Doppelbühne schmieden und von einem Adler die Etat-Leber weghacken, die niemals nachwuchs.

Er gilt als der Prototyp des Aufklärers, der Titanenspross Prometheus. Zur Strafe dafür, dass er den Menschen das göttliche Feuer des Theaters brachte und ihnen damit half, mündig zu werden, ließ ihn Zeus an den Felsen einer fusionierten Doppelbühne schmieden und von einem Adler die Etat-Leber weghacken, die niemals nachwuchs. So etwa lauten, in platzbedingter Koppelung, die Vorgeschichten des antiken Heroen P. und des deutschen Schauspielintendanten Holk Freytag, der hälftig dem Schillertheater NRW vorsteht, einer Geldnotfusion aus der Oper Gelsenkirchen und dem Schauspiel Wuppertal. Freytag ist einer jener gen 68-er Regisseure, die den Erziehungsauftrag des Theaters verteidigen. Der "Prometheus", den er am vergangenen Wochenende auf die Wuppertaler Bühne bringen wollte, sollte "das Credo dieser Spielzeit" werden, ein Requiem auf die Opfer des Totalitarismus. Doch kaum hatte die Tragödie ihren ersten Teil hinter sich, passierte es: Noch besaß Prometheus seine Leber, da lief Freytag die Galle über. Er trat vor sein Publikum und bekannte: "Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr!" Er sei nicht in der Lage, länger an seinem Haus zu arbeiten, könne das Ergebnis künstlerisch nicht verantworten und breche deshalb die Vorstellung ab. Titanenwort, Titanentat. Statt des gefesselten Prometheus gab es eine fesselnde Debatte mit dem Publikum, das mehr und mehr die Sicht des müden Helden vom Felsen des Kaukasus herab zu spüren bekam. Der Spardruck habe die Mitarbeiterzahlen drastisch schrumpfen lassen und die Probenzeiten halbiert, den "Prometheus" habe er trotz Inszenierungsverpflichtung in Gelsenkirchen in acht Tagen zu stemmen versucht. Das aber sei misslungen. Und schon wieder gebe es eine Deckungslücke, trotz Einsparungen von vierzehn Millionen Mark.

Freytag, designierter Dresdner Schauspielchef, über das "ausgelaugte" Haus: "Es geht kaputt, und keinen scheint es zu interessieren". Der Mangel an Interesse zumindest dürfte nun vorbei sein. Eine Premiere in actu abzubrechen, ist ein starkes Stück, stärker als manche Inszenierung am künstlerisch eher mittelmäßigen Wuppertaler Haus. Jeder Regieassistent allerdings weiß, dass keine Inszenierung nicht in acht Probentagen zu erarbeiten ist - hat Freytag also seinen "Prometheus" absichtlich vor den Felsen gesetzt, damit alle es krachen hören? Schon schon versprach Kulturdezernent Theodor Jüchter eine Schließung der bestehenden Deckungslücke im Theateretat von zwei Millionen. Ist der abgestürzte Prometheus also Freytags stärkstes Stück? Möglich wäre es. Prometheus heißt immerhin zu Deutsch: Vorbedacht.

Ulrich Deuter

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