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Parcours für Flaneure. An insgesamt 15 Stationen setzen sich Künstler und Performer mit der Geschichte der großen Expos auseinander. Hier der Pavillon des Dokumentartheatermacher Hans-Werner Kroesinger, der sich mit der Historie des Flugfelds selbst befasst.

© raumlaborberlin

HAU-Projekt auf dem Flughafen Tempelhof: Ein Feld für die Welt

Bummel durch die Pavillons: Als eines der großen Abschiedsprojekte von Intendant Matthias Lilienthal veranstaltet das HAU eine kritische „Große Weltausstellung“ im Tempelhofer Park.

Eine Weltkugel gehört immer dazu, schließlich geht es hier um eine Nationenschau mit universellem Anspruch. Und ein Riesenrad muss dabei sein, schließlich ist das Ereignis nicht zuletzt ein Volksvergnügen mit Jahrmarktscharakter für die Massen. „Große Weltausstellung“ – den Titel dürfen sich die Ausrichter erst anheften, wenn sie die Marke von 40 Millionen Besuchern geknackt haben.

Heute heißt die Veranstaltung Expo, Exposition Mondiale. Aber am Grundkonzept hat sich nicht viel geändert, seit 1851 im Londoner Hyde Park der Kristallpalast seine Türen öffnete und den Schaulustigen den ganzen Globus unter einem Dach versprach: die erste Weltausstellung. Seit 1867 kennt man das Prinzip der Länderpavillons, meist Bauten, die den State of the Art demonstrieren sollen. Auf Architektur gewordenen Fortschritt legen die teilnehmenden Nationen noch immer Wert. Die Frage bleibt dennoch: Weltkugel oder Seifenblase?

Es ist kaum wahrscheinlich, dass sich 40 Millionen Menschen auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof drängen werden. „Große Weltausstellung“ haben die Macher des Kreuzberger Theaterkombinats HAU ihr gewaltiges Freiluftvorhaben trotzdem genannt, im Übertitel „The World Is Not Fair“ – ein Wortspiel mit dem englischen Doppelklang von Messe und Gerechtigkeit. Es ist eins von zwei großen Abschiedsprojekten des scheidenden künstlerischen Leiters Matthias Lilienthal. Die Gegen-Weltausstellung auf dem Tempelhofer Feld wird sich kritisch, ironisch und künstlerisch mit der Historie der internationalen Leistungsschau auseinandersetzen. Sie okkupiert mit Freude am Widerspruch ein Auslaufmodell – die wahren Innovationen werden ja längst im Netz präsentiert, nicht in der Messebude.

Was früher der Schaufensterbummel war, ist heute das Kite-Surfen auf der Landebahn

15 Pavillons für die Performances und Installationen der beteiligten Künstler und Gruppen säumen das Feld. Das HAU hat sich in Lilienthals neunjähriger Amtszeit stets als Stadt-Theater im wörtlichen Sinn verstanden, jetzt wird der urbane Raum noch einmal erobert. Weder der Ku’damm noch Mitte seien das Zentrum Berlins – für den wahren Knotenpunkt hält Lilienthal in der Saison von April bis September vielmehr den Schlenderboulevard Tempelhof, auf dem sich Zehntausende herumtrieben: „Was bei meinen Eltern der Schaufensterbummel war, ist heute das Kite-Surfen auf der Landebahn.“ Entsprechend nennt er als Impuls für das Event auf der Flanierbrache seine „Lust am Populistischen“. Da käme, scherzt Lilienthal, der Harald Juhnke in ihm durch.

Tempelhof sei „die große innerstädtische Fläche im Umbruch“, findet auch Benjamin Foerster-Baldenius, Architekt des Experimentierbüros raumlaborberlin, das für Konzept und Gestaltung verantwortlich zeichnet. Die Stadtdenker sind dem HAU verbunden, unter anderem haben sie für Lilienthal den Palast der Republik geflutet und ein Kreuzberger Nahverkehrssystem entworfen.

Foerster-Baldenius steht auf dem Dach des „Pavillons der Weltausstellungen“. Eine Art Infozentrale, wo in Zusammenarbeit mit dem Künstler Erik Göngrich die Ergebnisse der mehrmonatigen Recherche über das Wesen der Expos zusammengetragen sind, die Foerster-Baldenius zusammen mit seinem Planungspartner Matthias Rick angestellt hat. Tragischerweise starb Rick Ende April bei einem Unfall, ihm ist das Projekt jetzt gewidmet.

Häuptlingssöhne im Stall der "Herrenmenschen"

Foerster-Baldenius blickt über das Flugfeld. In Sichtweite wird am Pavillon von Harun Farocki gewerkelt, der über den Einfluss der digitalen Welt auf die reale forscht. In der Ferne ist das Riesenrad zu sehen, das zum Bau von Tamer Yigit und Branka Prlic gehört, die Wanderbewegungen der Gegenwart reflektieren.

Der Architekt schätzt, dass zwölf bis 13 Sattelschlepper voll Material nach Tempelhof geschafft wurden. Anderthalb Jahre gab es Planungsvorlauf, seit Ostern wird gebaut, 450 000 Euro beträgt das Budget. Es ist ein logistischer Kraftakt für das HAU, die gesuchte Überforderung.

Auf einer Tafel hinter Foerster-Baldenius prangen Bilder der Wahrzeichen vergangener Weltausstellungen, der Eiffelturm neben dem Atomium neben der Space Needle. 160 Jahre Expo-Geschichte im Schnelldurchlauf. Folklore hat immer dazugehört: die Straße von Kairo, Pyramiden, Kamele. Zu Beginn, im 19. Jahrhundert, waren die Expos vor allem Protzplattformen kolonialer Errungenschaften. Inklusive Völkerschau. In diesen Menschenzoos wurden Schwarze im Baströckchen begafft – auch während der Gewerbeausstellung, die 1897 im Treptower Park in Berlin stattfand. Für die hatte man Häuptlingssöhne aus Deutsch-Südwest-Afrika hergebracht, die sich auf diplomatischer Mission wähnten. Und sich in einer Art Stall bei selbst ernannten Herrenmenschen wiederfanden. Foerster-Baldenius sind die Weltausstellungen seitdem nicht sympathischer geworden. „Wenn China heute in Schanghai eine Expo veranstaltet, geht es auch nur darum, der Welt die eigene Macht zu demonstrieren“, sagt er. „Deswegen hat das Land selbst den größten Pavillon.“

"Wir entreißen den Investmentbankern den Globalisierungsbegriff und werten ihn um"

„The World Is Not Fair“ unterläuft alle Trumpfsucht. Foerster-Baldenius will den Kontrast zu den „angeberischen Großevents“, für die Berlin ja anfällig sei. Typisch in seinen Augen: dass die Entwicklung des Tempelhofer Parks mit der Feier einer Internationalen Gartenausstellung 2017 auf dem Gelände verlinkt werden soll. Schnellschuss-Planung, sagt er. Am HAU werden sie klüger vorgehen, mehrbödiger und nachhaltiger. Das Spektakel nimmt die Gegebenheiten des Ortes auf, etwa indem sechs Bestandsgebäude in den Pavillonbau einbezogen werden: von der ehemaligen Wetterstation über den Munitionsbunker bis zum Diensthunde-Zwinger der US-Army.

„The World Is Not Fair“ spannt ja tatsächlich eine Brücke über die Kontinente. Das Projekt führt Künstler zusammen wie den deutschen Dokumentartheatermacher Hans-Werner Kroesinger, der die Geschichte des Flughafens Tempelhof erforscht, und die südafrikanische Künstlerin Tracey Rose, die den schwarzweißen Blaupunkt-Fernseher aus der Township ihrer Kindheit mit einer Seifenoper wiederaufleben lässt. Matthias Lilienthal hat am HAU stets die Auflösung der Grenzen zwischen Theater, Film und Bildender Kunst betrieben, hier spiegelt sich das noch mal. Wie auch das prägende Motiv seiner Intendanzzeit ins Bewusstsein rückt: die Globalisierung als kulturelles Phänomen. Auch das bringt die Große Weltausstellung in Lilienthals Augen mit sich: „Wir entreißen den Investmentbankern den Globalisierungsbegriff und werten ihn um.“

„The World Is Not Fair – Die Große Weltausstellung 2012“: 1. bis 24. Juni, Tempelhofer Park, ehemaliges Flughafengelände. Do und Fr 16–22 Uhr, Sa und So 14–22 Uhr. Programm und Tickets unter diesem Link.

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