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Kultur: Hauptmann, General und Narr

Carl Raddatz 92-jährig in Berlin gestorben

Rau, aber herzlich – ehrliche Haut, aber Schlitzohr: Diese Mischung machte den Schauspieler Carl Raddatz aus. Carl Zuckmayer war ihm in einem „Einklang der Seelen“ verbunden. Am Berliner Schiller-Theater mündete das Bekenntnis zu dem Autor in einer Trias großer Rollen. Auf den Schuster Voigt im „Hauptmann von Köpenick“, 1964 unter Boleslaw Barlogs Regie, folgte 1967 der Fliegeroffizier Harras in „Des Teufels General“, drei Jahre später der Zirkusdirektor in „Katharina Knie“.

Am 13. März 1912 in Mannheim geboren, hat Raddatz, nach Schauspielunterricht bei Willy Birgel, seine Karriere 1937 beim Film begonnen: mit „Urlaub auf Ehrenwort“ bei der Berliner Ufa. Nach „Immensee“ und „Opfergang“ von Veit Harlan ermöglichte Helmut Käutner ihm 1944 die Abkehr von den NS-Tendenzstoffen: mit der Liebesgeschichte „Unter den Brücken“. Käutner war es auch, mit dem er seine Filmlaufbahn nach dem Krieg bruchlos fortsetzen konnte: Raddatz bewährt sich als desertierter Kradmelder, der „In jenen Tagen“ gegen Kriegsende unter Lebensgefahr ein Flüchtlingsmädchen mit Kind rettet. Mit Alfred Vohrers Fallada-Verfilmung „Jeder stirbt für sich allein“ verabschiedete sich Raddatz 1975 von der Kinoleinwand, lieh aber fortan seine Synchronstimme Stars wie Humphrey Bogart, Burt Lancaster und Kirk Douglas.

Das Jahr 1975 markierte den Höhepunkt der Bühnenlaufbahn. Samuel Beckett inszenierte in Berlin „Warten auf Godot“: mit Raddatz als Pozzo, der seinen Knecht Lucky barsch traktiert, jedoch einen Rest an Zuneigung zu dem armen Kerl zeigen darf. Eine Sternstunde in der Geschichte des Schiller-Theaters, hell funkelnd neben zwei anderen, bei denen Raddatz sagen durfte, er sei dabei gewesen. Beide verantwortete Fritz Kortner, so streng wie Beckett: 1962 war Raddatz der Narr in Shakespeares „Was ihr wollt“, 1968 der Meister Anton in Hebbels „Maria Magdalene“. Da traf es den Schauspieler um so heftiger, als der Intendant Heribert Sasse seine „Stütze des Hauses“ 1986 in den Ruhestand schickte. Ob Raddatz die Kränkung, die der Senat mit der Verleihung der Ernst-Reuter-Plakette wiedergutzumachen versuchte, jemals verwunden hat? Am Mittwoch ist er gestorben, 92 Jahre alt.

Günther Grack

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