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Kultur: Hauptsache, ich fühle mich wohl

Zwei Klavierkonzerte im Kammermusiksaal.

An Klavierabenden sitzen besonders viele Experten im Publikum: Genießer und Professoren, Studenten und Sinnsucher. Selten haben sie alle etwas von den Konzerten. Es sei denn, sie können wie am Sonntag im Kammermusiksaal gleich zwei hintereinander hören – die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Den Anfang macht der 25-jährige Ingolf Wunder. Sein Programm wird vor allem vom Foyer bestimmt, dort warten stapelweise CDs: Wunders Album „300“ hat es sich wahnsinnigerweise zum Ziel erklärt, drei Jahrhunderte Musikgeschichte abzubilden. Also gibt er erst die vier Balladen aus Chopins Traumfabrik, dann Evergreens von Liszt, Skrjabin oder Debussy. So beliebig wie die Programmauswahl ist Wunders Ästhetik: Mitzuteilen hat er wenig, und die drei Jahrhunderte schrumpfen bei Licht betrachtet auf eines. Je miniaturhafter und historisch unbedeutender die Stücke werden, desto größer das Ego. Sind die Chopin-Balladen noch im gleichen Atem gearbeitet, irrlichtert Wunders Spiel danach im nicht durchschauten Liniengewirr. Er wirkt nicht nur am Repertoire  gemessen – das nicht sehr groß scheint – unreif, sondern betrachtet sein Musizieren vor allem als Dienst am eigenen Wohlbefinden.

Herbert Schuch am Abend ist aus völlig anderem Holz geschnitzt: ein Pianist, der mehr will als schön Klavier spielen, der Fragen stellt und versucht, Antworten zu finden. Liszts „Harmonies poétiques et religieuses“ geben die These des Göttlichen in der Musik vor, die er bei Bach findet, bei Ravel erforscht, bei Messiaen ergründet. Trotz inhaltlicher Verwandtschaft sind die Werke völlig verschieden. Atemlose Spannung erwächst nicht aus dem Staunen über schnelle Finger, sondern aus dem Geist des intellektuellen Musikers, der seine Klangfarben so reich schattiert, dass man einem ganzen Orchester zu lauschen meint: Schuch kann am Klavier instrumentieren, vollendete Meisterschaft, die sich am musikalischen Inhalt verwirklicht. Grandiose Wirkung erzielen die Geschmeidigkeit seines Tons, die Logik seiner Klangrede. Hier hat sich jemand eine Klangkultur an seinen Aussagen entlang erarbeitet, was einem Gesamtkunstwerk nahekommt.

In beiden Konzerten ist der Saal immerhin halbvoll, jedes Programm findet seine Zuhörer. Anders gelesen: Wenn keine Meterware verscheuert und kein Personenkult betrieben, sondern an die Musik geglaubt wird, ohne den Solisten zum Abgott zu verklären, trifft das auf Interesse. Und lässt hoffen. Christian Schmidt

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