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Klassik für die Massen. Die Berliner Philharmoniker bei ihrem Open Air auf dem Kulturforum im August 2016.

© Peter Adamik

Hauptstadtfinanzierungsvertrag: Wie der Bund Berlins Musiklandschaft mitfinanziert

Insgesamt gibt es gut 25 Millionen Euro mehr für Berlins Kultur. Unter anderem steigt der Bund bei den Berliner Philharmonikern und der Opernstiftung mit ein. Auch die freie Szene profitiert.

Der Bund macht bald auch die Musik in Berlin. Das ist die wichtigste Neuigkeit für die Kultur im Vertragstext mit dem sperrigen Namen Hauptstadtfinanzierungsvertrag. Er enthält gute Nachrichten für die Berliner Philharmoniker, die Opernhäuser und die Freie Szene. Bei den Philharmonikern steigt der Bund erstmals mit ein, zu einem guten Drittel mit über 7 Millionen Euro. Die Opernstiftung erhält künftig 10 Millionen Euro aus der Schatulle von Kulturstaatsministerin Monika Grütters statt bislang 1,8 Millionen für die Staatskapelle. Der Hauptstadtkulturfonds wird um ein Drittel aufgestockt, auf knapp 15 Millionen Euro. Und der Bund entlastet das Land bei den anteiligen Zahlungen fürs Humboldt-Forum um weitere 5 Millionen Euro. Das macht in der Summe voraussichtlich 25, 7 Millionen Euro mehr.

Unterschrieben wird im Mai

Nach Informationen des Tagesspiegels wird der ab 2018 gültige, über zehn Jahre laufende Vertrag in der ersten Maihälfte unterschrieben. Vonseiten des Bundes unterzeichnen Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kulturstaatsministerin Grütters, beide CDU, von Seiten des Landes der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Innensenator Andreas Geisel, beide SPD. Die Vereinbarung enthält weitere Regelungen über die Entlastung Berlins bei hauptstadtbedingten Aufgaben und der Sicherheit.

Ein langer Lauf kommt zum Ende. Eigentlich waren die Verhandlungen über die Fortsetzung des 1994 geschlossenen, zuletzt 2007 angepassten und bis Ende 2017 gültigen Vertrags letzten Sommer abgeschlossen. Aber dann hakte es bei den Liegenschaften, und nach der Berlin-Wahl im Herbst kamen neue Player an den Tisch. Was die Kultur betrifft, zogen Grütters, Müller und Kultursenator Klaus Lederer rasch wieder an einem Strang.

Das Gros des Bundesengagements für national bedeutsame Kulturinstitutionen in Berlin ist ohnehin unstrittig, es ist über Jahre gewachsen und wird über eine komplizierte Vielzahl von Verträgen geregelt. Selbst Haushaltsexperten steigen da nicht immer durch. Der Bund finanziert seit Jahrzehnten zum Beispiel die Berliner Festspiele. Das gilt traditionell auch für 75 Prozent der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (und dessen sämtliche Bauinvestitionen) und nun auch den Großteil des Humboldt-Forums. Über den Hauptstadtfinanzierungsvertrag kamen unter anderem das Jüdische Museum, die Akademie der Künste und die Stiftung Deutsche Kinemathek hinzu.

Berlin zahlt 508 Millionen Euro für seine Kultur, der Bund fast 100 Millionen mehr

Originäre Bundeseinrichtungen sind auch das Deutsche Historische Museum und, frisch eröffnet, die Barenboim-Said-Akademie. Die gesamten Ausgaben beliefen sich 2016 auf 604 Millionen Euro. Berlin selbst gibt 508 Millionen Euro für die Kultur aus. All das wird selbstverständlich fortgesetzt.

Neu ist die Mischfinanzierung einzelner Institutionen. Die Philharmoniker und die Opernstiftung werden ab 2018 gemeinsam von Bund und Land getragen. Grütters hatte sich seit längerem leidenschaftlich dafür stark gemacht, dass der Bund nicht nur die extraordinäre Berliner Museumslandschaft unterstützt, sondern sich auch stärker für die Klassikmetropole engagiert. „Bei einer Stadt mit sieben Weltklasse-Orchestern und drei Opernhäusern sollte der Bund hier auch einen Akzent setzen“, lautete ihr Credo.

In den vergangenen Jahren war immer wieder von einer möglichen Komplettübernahme der Philharmoniker oder der Staatsoper die Rede gewesen. Wegen des Alleinstellungsmerkmals als eins der weltbesten Orchester und als „Leuchtturm“ über die Landesgrenzen hinaus hätte sich eine Exklusivförderung der Philharmoniker vielleicht begründen lassen, trotz der Kulturhoheit der Länder.

Auch wenn sie es nicht laut sagt: Grütters hätte die Musiker wohl gern unter die Fittiche des Bundesadlers genommen. Die Karriere der heute 55-Jährigen begann in der Landespolitik, Berlin liegt ihr im Blut. Zudem sitzt Grütters seit 15 Jahren im Stiftungsrat des Orchesters, die finanzielle Stärkung des Elite-Ensembles dürfte vor allem ihr Verdienst sein.

Philharmoniker und Opernstiftung werden komplementär gefördert

Aber in der föderalen Republik sind Konzert- oder Bühnenhäuser in alleiniger Verantwortung des Bundes verfassungsrechtlich bedenklich. Schon deshalb will der Ordnungspolitiker Schäuble keine Präzedenzfälle schaffen, nach der bereits nicht ganz korrekten Übernahme der Berliner Akademie der Künste. Solche Akademien gibt es mehrfach in Deutschland.

Also wird komplementär gefördert, auch bei der Opernstiftung. Dort wird zudem strukturelle Ungerechtigkeit ausgeglichen, wird die Staatsoper doch seit Gerhard Schröders Zeiten mit 1,8 Millionen Euro aus der Bundesschatulle bedacht. Die anderen Opern und Orchester waren damals, im Jahr 2000, not amused über die „Kanzlerzulage“ für Daniel Barenboim. Bei der letzten Vertragsergänzung 2007 war obendrein ein Zuschuss von 200 Millionen Euro für die Sanierung des Stammhauses Unter den Linden vereinbart worden. Diese Bevorzugung soll mit zehn Millionen Bundes-Euro für die drei Musiktheater unter dem Dach der Opernstiftung (Landesetat: 141,1 Millionen) ausgeglichen werden. Zwar bleibt es bei den 1,8 Extra-Millionen für die Staatskapelle, aber wie der Rest aufgeteilt wird, bleibt dem Stiftungsrat überlassen.

Eine Mischfinanzierung existiert bislang nur beim Riesenkonglomerat der Preußenstiftung. Gerade dort weiß man, klare Zuständigkeiten sind einfacher. Beispiel Humboldt-Forum: Zu viele Kapitäne erschweren die Manövrierfähigkeit. Aber wie gesagt, der Föderalismus ist ein hohes Gut der Kulturnation.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters spricht schon länger davon, dass der Bund sich auch in der Musikmetropole Berlin verstärkt engagieren sollte.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters spricht schon länger davon, dass der Bund sich auch in der Musikmetropole Berlin verstärkt engagieren sollte.

© Jens Wolf/ dpa

Gut 25 Millionen Euro mehr für Berlins Kultur: Der neu ergänzte Vertrag beläuft sich auf 4 Prozent der Gesamtsumme von 604 Millionen Euro. Sind das nicht Peanuts? Ja und nein. Neu ist die Art des Einsatzes für strukturelle Maßnahmen, für eine aktive Mitwirkung bei herausragenden Einrichtungen. Mehr gemeinsame Zuständigkeit, mehr gegenseitige In-die-Pflichtnahme – im besten Fall eine Win-Win-Situation. Und über den Philharmoniker-Deal springt eine reale Entlastung für die Berliner heraus.

Der Hauptstadtkulturfonds wird auf 15 Millionen Euro erhöht

Bisher erhält das Orchester jährlich 16,7 Millionen Euro vom Land, zuzüglich 1,17 Millionen Euro Lottogelder. Ab 2018 wird das Elite-Ensemble mit 20 Millionen Euro ausgestattet sein, um bei der Bezahlung der Musiker besser konkurrieren zu können, zum Beispiel mit den bayrischen Spitzenorchestern. Hinzu kommt ein sechsstelliger Betrag pro Jahr für die Orchesterakademie, die sich bisher vor allem über Spenden trägt. Das Land braucht bei einer Bundesspritze von 7 bis 7,5 Millionen also nur noch 13 Millionen Euro für die Musiker im Scharoun-Bau zu zahlen. Damit hat Berlin knapp 4 Millionen für andere Kulturaktivitäten gewonnen.

Die Erhöhung des Hauptstadtkulturfonds von 10 auf 15 Millionen Euro stärkt nicht zuletzt die Freie Szene. Die Stadt als Experimentierfeld, als international attraktives Zentrum der Avantgarde, auch dieses besondere Merkmal würdigt der Bund nun explizit. Dass die CDU-Landesvorsitzende Grütters und der Linken-Kultursenator Klaus Lederer dies gleichermaßen wollen, kann man sich denken.

Auch beim Humboldt-Forum entlastet der Bund das Land

Beim Humboldt-Forum zahlt Berlin wie gehabt seinen Anteil für die vom Land und der Humboldt-Uni bespielten Flächen. Der Bund entlastet Berlin jedoch um seinen 25-prozentigen Sitzland-Anteil bei den Museumsflächen der Preußenstiftung, das sind weitere 5 Millionen Euro. Auch deshalb, weil das Land ohnehin bei allen neuen SPK-Projekten zur Kasse gebeten wird, von Bibliotheken bis zum Museum der Moderne. Dass der SPK-Anteil Berlins endlich generell gedeckelt werden soll, diese Forderung findet sich ebenfalls im R2G-Koalitionsvertrag.

Monika Grütters hatte schon 2016 versprochen, dass der Bund sich „dauerhaft auch über das bisherige Maß hinaus“ in der Hauptstadt engagieren will. Ob sie nach der Bundestagswahl im September im Amt bleibt oder nicht: Die Bundesgelder für Berlins Kultur werden sich weiter erhöhen. Spätestens wenn das Humboldt-Forum 2019 eröffnet wird und der Bund die laufenden Kosten übernimmt, 50 bis 60 Millionen Euro pro Jahr. Oder wenn eines Tages das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum steht, auch da wird der Bund den Betrieb finanzieren. Und wenn das Filmhaus samt Berlinale-Zentrale spruchreif wird. Egal, wer dann Kulturstaatsministerin ist.

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