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HAUSFRAU AUF ABWEGEN„Irina Palm“ mit Marianne Faithfull: Die rechte Hand

Selbst ein Kabuff im Sex-Shop soll gemütlich sein. Findet zumindest die mütterliche Maggie (Marianne Faithfull, Foto) und geht ans Werk: Kittelschürze und bequeme Schuhe angezogen, Blumen auf den Tisch, Bild an die Wand, Seife ans Waschbecken.

Selbst ein Kabuff im Sex-Shop soll gemütlich sein. Findet zumindest die mütterliche Maggie (Marianne Faithfull, Foto) und geht ans Werk: Kittelschürze und bequeme Schuhe angezogen, Blumen auf den Tisch, Bild an die Wand, Seife ans Waschbecken. Dann noch eine Illustrierte her, und es lässt sich aushalten – beim Warten auf den nächsten Kunden.

Absurde Umgebung. Absurde Geschichte. Fremder kann man nicht sein, als diese 60-jährige Hausfrau mit Kapuzenmantel und Einkaufstüte im Rotlichtbezirk von London. Was eine Hostess ist, was „wichsen“ bedeutet, muss Clubbesitzer Miki (Kusturica-Star Miki Manojlovic) ihr beim Vorstellungsgespräch erst erklären. Aber bald ist Irina Palm, so Maggies Künstlername, der Star von Soho. Weil sie so weiche Hände hat, und weil die Kunden, die bald Schlange stehen, nicht sehen, wer ihnen auf der anderen Seite der Wand einen runterholt.

Eine Paraderolle für Pop-Königin Marianne Faithfull, die hier in ihrer ersten Kino-Hauptrolle zu sehen ist: der Mutterwitz, der Pragmatismus, mit dem sie ihre Maggie völlig uneitel ausstattet, lässt keine Minute Peinlichkeit aufkommen. Die „wichsende Witwe“, wie Maggie sich gegenüber ihren pikierten Vorort-Freundinnen selbstbewusst nennt, entwickelt in der ungewohnten Umgebung nach anfänglichem Befremden durchaus Humor und neues Selbstbewusstsein.

Auf der Berlinale war „Irina Palm“ der Publikumsfavorit, mit 20 Minuten Standing Ovations. Die Geschichte der Hausfrau, die zur Sex-Queen wird, weil sie für eine Operation ihres todkranken Enkels 6000 Pfund auftreiben muss, bleibt bei aller Gewagtheit sehr bodenständig. Nicht das schmierige Milieu steht im Mittelpunkt, sondern der selbstbewusste Kampf einer Frau, die alle – vom Bankangestellten bis zum eigenen Sohn – schon zum alten Eisen gerechnet hatten. Genügend Melodram-Potenzial für so manche Rührungsträne und gleichzeitig urkomisch, mit trockenem britischen Witz und Understatement, eine Mischung aus „Calendar Girls“ und „Intimacy“. Und, wie gesagt, einer ganz herausragenden Hauptdarstellerin: Dank Marianne Faithfull ist in jeder Minute ein Kino-Erlebnis. Anrührendes und witziges Melodram. Christina Tilmann

„Irina Palm“, BEL/GB 2007, 203 Min., R: Sam Garbarski, D: Marianne Faithfull, Miki Manojlovic

Christina Tilmann

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