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Kultur: Hausfreund am Klavier

Emanuel Ax ist in dieser Saison Gast der Berliner Philharmoniker

„Schauen Sie sich nur diese Sonate für Cello und Klavier an, die Richard Strauss als Sechzehnjähriger geschrieben hat!“ Emanuel Ax strahlt übers ganze Gesicht. „Sicher, auch Mozart hat als Teenager nette Musik komponiert – dieses Stück vom blutjungen Strauss aber ist vollkommen.“ Ganz schön mutig, so eine Aussage im 250. Amadeuswunderkindjubeljahr. Aber so ist Emanuel Ax nun einmal: kein Modemitmacher, sondern einzig und allein seinem Gewissen verpflichtet. Darum passt der Pianist auch so gut zu den Berliner Philharmonikern. 2003 hat das Orchester damit begonnen, alljährlich einen Klaviervirtuosen einzuladen, der als pianist in residence im Laufe einer Saison immer wieder als Solist bei Orchesterkonzerten und Kammermusikprojekten präsent ist. Den Anfang machte Lars Vogt, in der vergangenen Spielzeit war dann Yefim Bronfman der musikalische Hausfreund der Philharmoniker.

Als der Anruf aus Berlin kam, zögerte Emanuel Ax keinen Moment. Schließlich sind die Philharmoniker für den weitgereisten Solisten „das freundlichste Orchester, das ich kenne“. Seine Berliner residence begann dann im Oktober gleich stürmisch: Am Tag seines ersten Auftritts mit Philharmonikern im Kammermusiksaal kam die Anfrage, ob er nicht an den folgenden drei Tagen für Gil Shaham beim Orchesterprogramm mit David Zinman einspringen könne. Und obwohl der Pianist direkt im Anschluss mit der Staatskapelle ein Stück der US-Komponistin Melinda Wagner uraufführen sollte, sagte er zu. So funktioniert Freundschaft.

Zum Interview erscheint Emanuel Ax in typisch amerikanischer Freizeitkleidung: Sweatshirt, weiße Tennissocken, schwarze Turnschuhe. Ja, sagt er, er fühle sich durchaus als US-Bürger, auch wenn er bis zu seinem 12. Lebensjahr in Old Europe gelebt hat. Für seine Eltern war es eine schwere Zeit, damals in Lwow, der polnischen Stadt, die erst von der deutschen Wehrmacht besetzt und nach dem Ende des Naziterrors dann von der Sowjetunion annektiert wurde. Zunächst gingen sie mit ihrem 1949 geborenen Sohn nach Warschau, 1961 entschlossen sie sich dann, in die USA auszuwandern. „Für meinen Vater und meine Mutter war es eine Erlösung“, erzählt Ax. „Sie haben nie zurückgeblickt.“ In New York wird der hochbegabte Teenager in die Klavierklasse von Mieczylaw Munz an der Juilliard School aufgenommen, der erste Preis beim Rubinstein-Wettbewerb 1974 in Tel Aviv öffnet ihm die Türen der großen Konzertsäle.

Heute konzentriert er sich bei seinen rund 100 Auftritten pro Jahr auf die USA und die westeuropäischen Kapitalen. Nach Krakau kam er erstmalig 1999, bei einem Gastspiel der Berliner Philharmoniker – und war stolz, nicht nur als Solist, sondern auch als Übersetzer glänzen zu können.

Emanuel Ax hat wenig für Spezialistentum übrig. Entsprechend vielseitig präsentiert sich sein Repertoire: Jüngst hat er zwei Brahms-CDs eingespielt, das 2. Klavierkonzert mit Bernard Haitink und dem Boston Symphony Orchestra sowie die Sonaten für zwei Klaviere mit Yefim Bronfman; parallel nimmt er einen Zyklus aller Haydn-Klaviersonaten auf. Ax’ Kammermusikprogramme mit den Berliner Philharmonikern dagegen überraschen durch die exquisite Mischung aus Ravel, Fauré, Debussy – und Richard Strauss. „Damit will ich verschiedene Reaktionen auf Richard Wagner zeigen“, erklärt der Virtuose. Den „wohl einflussreichsten Komponisten des 19. Jahrhunderts“ hat er übrigens erst vor wenigen Jahren für sich entdeckt: Es war sein dirigierender Pianistenkollege Daniel Barenboim, der ihn durch zwei mitreißende Wagner-Abende mit dem Chicago Symphony Orchestra für die Klangwelt des Bayreuther Meisters entflammte.

Dass er bei aller Schwärmerei für Strauss auch ein feines Gespür für die Klangsprache Mozarts hat, bewies Emanuel Ax beim Silvesterkonzert der Philharmoniker, als er das „Jeunehomme“-Klavierkonzert spielte – wunderbar entspannt, mit glasklarem Anschlag und berührender Interpretenbescheidenheit.

Heute musiziert Ax mit den Philharmonikern Emmanuel Pahud, Daniel Stabrawa, Wilfried Strehle, Jan Diesselhorst und Marie-Pierre Langlamet, 20 Uhr, Kammermusiksaal der Philharmonie.

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