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Kultur: Haushoch hinaus

Monaco zeigt in seinem neuen Nationalmuseum Urbanisierungspläne aus 150 Jahren.

Monaco soll den teuersten Wohnturm der Welt erhalten: 170 Meter hoch, an der Spitze ein fünfstöckiges Penthouse mit 3300 Quadratmetern Wohnfläche – für 300 Milionen Euro. Kein Zweifel, dass sich auch dafür ein russischer Oligarch finden lässt. Monaco ist eine der sonderbarsten Städte der Welt. Auf einem schmalen Küstenstreifen erstreckt sich weniger ein einzelner Ort als vielmehr eine Agglomeration, bunt gemischt aus einer nicht gar so alten Altstadt, Monte Carlo als Vergnügungsort des Tourismus und angrenzenden Wohnvierteln teils aus Hochhäusern, teils auf aufgeschüttetem Boden mit regelmäßigen Wohnblöcken. Das Ganze eingequetscht in eine geografisch schwierige Lage zwischen Meer und Gebirge, zudem in seinem Wachstum abgeschnürt durch die nirgends sichtbare Staatsgrenze, die das Fürstentum von Frankreich trennt.

Monaco/Monte Carlo war einst der Sehnsuchtsort europäischer Glücksspieler und wurde seit dem Zweiten Weltkrieg zum Ziel der neuen Spezies der Steuerflüchtlinge. Eine Briefkastenadresse genügt nicht, es gibt die Residenzpflicht von mindestens 183 Tagen im Jahr. Und damit den Zwang, Immobilieneigentum zu erwerben. Am einfachsten in einem der „Résidences“ genannten Apartmenttürme.

Doch die Urbanisierung Monacos hat bereits eine 150-jährige Geschichte, seit den allerersten Anfängen dessen, was sich zu Tourismus und Wohlstandsmigration auswachsen sollte. Nur ist diese Geschichte bislang nicht aufgearbeitet worden. Was wurde geplant, was gebaut oder auch nicht, was wurde wieder abgerissen und ersetzt durch neue Vorhaben? Aus diesen Fragen entstand das Projekt „Monacopolis. Architektur und Urbanisation in Monaco. Projekte und Realisierungen 1858–2012“. Dessen Ergebnis ist eine Ausstellung des Neuen Nationalmuseums Monaco (NMNM). Das angekündigte Begleitbuch steht noch aus.

Das enthusiastische Team um die Chefkuratorin des NMNM, Nathalie Rosticher, fand in den Archiven, insbesondere dem der mächtigen Société des bains de mer de Monaco (SBM), gut 5000 Pläne, die nie erschlossen wurden. Sie dokumentieren die Bautätigkeit seit der Belle époque, dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, als sich das Wachstum Monacos rasant beschleunigte. Monte Carlo entstand, mit Kasino, Theater, Hotels und dem Treffpunkt „Café de Paris“, die sich um eine langgezogene Platzanlage scharen. Die Doppeltürme des Theatergebäudes sind stolz aufs Meer ausgerichtet. Unmittelbar am Ufer entlang schlängelte sich die Eisenbahn zwischen Côte d’Azur und Riviera. Die Gleisanlagen samt Bahnhof wurden 1964 zugunsten eines Tunnels unter den höher gelegenen Stadtteilen aufgegeben.

In der Ausstellung wird die Glanzzeit des erst 1866 geschaffenen Monte Carlo in herrlichen Plänen, Aufrissen, Detailzeichnungen und Modellen lebendig. Kein Geringerer als Charles Garnier, der gefeierte Architekt der Pariser Oper, erhielt den Auftrag für den Bau des „Theaters“, das ebenso der Oper dient. Die legendären „Ballets Russes“ Sergej Diaghilews hatten hier in den zwanziger Jahren ihr Stammquartier. 1879 war das Theater nach nur acht Monaten Bauzeit fertig.

Es liegt in der Natur des Archivs der SBM, dass die privaten Bauvorhaben, eben die prachtvollen „Villen“, aber auch die durchgängig urbane Bebauung auf der Landseite des auf „Le rocher“, dem Felsen, aufsattelnden Schlosses nicht dokumentiert sind. Immerhin ist das meerseitige Projekt der Kathedrale, in lupenreiner Neoromanik gestaltet, in Plänen wie auch zeitgenössischen Fotografien zu sehen. Überhaupt stellen die Fotografien und frühen Filmaufnahmen eine enorme Bereicherung der Ausstellung dar. Darunter ein vierminütiger Film, aufgenommen aus einem Wasserflugzeug beim Kreisen über Monaco im Jahre 1912 – eine echte Trouvaille.

Mit dem Ersten Weltkrieg und dem abrupten Verschwinden einiger Monarchien endet die üppige Bautätigkeit. Spätestens zwischen den Kriegen war der Zustand der „Sättigung“ des Stadtstaates erreicht. Es gab kein Bauland mehr. Das macht Monaco so besonders und vielleicht nur noch mit Hongkong vergleichbar. Drei Möglichkeiten stehen seither zur Wahl: die Aufstockung vorhandener Gebäude, deren Ersatz durch Hochhäuser sowie die Aufschüttung von Neuland vor der Küstenlinie.

Für alle drei Strategien finden sich in Monaco Beispiele. Die Jahrzehnte seit dem Zweiten Weltkrieg überließen das Baugeschehen dem privaten Investment, während sich Stadtplanung auf Verkehrsplanung beschränkte. Immer neue Straßenführungen über Brücken und durch Tunnel wurden ersonnen. Dabei wurde dem Bedürfnis der wohlhabenden Zuzügler Rechnung getragen, mit ihren Autos sichtbar durch die Stadt rollen zu können. Die verschlungene Verkehrsführung zwingt mittlerweile dazu, auch bei kurzen Entfernungen etliche Windungen zu vollführen. Und es wurden zahllose Tiefgaragen gebaut, um kostbaren Straßenraum nicht für parkende Autos zu verschwenden.

Die sechziger Jahre waren zugleich eine Ära der Visionen. Ganz eigenartige Fundsachen sind ans Licht gekommen: Entwürfe von Satellitensiedlungen im Wasser zumal, von Paul Maymont (1962) „Ile flottante“ und von Edouard Albert „Ile artificielle“ (1963–67) genannt. Und schließlich der Entwurf der englischen Gruppe Archigram von 1969 für eine Multifunktions-Veranstaltungshalle – reinste Pop-Architektur und entsprechend bunt präsentiert.

Seither kann von öffentlicher Architektur in Monaco kaum noch die Rede sein. Gewiss, Jean Nouvel reichte 2009 einen Entwurf für einen Wettbewerb zum „Weltzentrum von Mensch und Meer“ ein. Aber auch dieses Vorhaben blieb Papier. Zum Glück blieb sehr vieles Papier. Monaco ist eine Stadt in ständigem Wandel – und bislang auch eine Stadt mit kurzem Gedächtnis. Dieses Gedächtnis wiederzubeleben, wäre der Ertrag dieser Pionierleistung des Nationalmuseums.

Monaco ist kein Exot unter den Städten, sondern eher die Keimform jener überverdichteten Mega-Städte, wie sie außerhalb Europas immer weiter in die Höhe wachsen.Bernhard Schulz

Monaco, Nouveau Musée National de Monaco. Villa Sauber, bis 4. Januar 2014. Mehr unter www.nmnm.mc

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