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Kultur: Havarie

SCHREIBWAREN Steffen Richter kennt den Trick, mit dem man Katastrophen ignoriert Es gibt Tage, da steht man irgendwie neben sich. Da will sich die eine Hälfte von einem nur noch ins Bett legen.

SCHREIBWAREN

Steffen Richter kennt den Trick,

mit dem man Katastrophen ignoriert

Es gibt Tage, da steht man irgendwie neben sich. Da will sich die eine Hälfte von einem nur noch ins Bett legen. Aber dann kommt es noch schlimmer. Da würde man sich am liebsten dreiteilen. Heute ist so ein Tag: Im Literaturhaus wird der Großmeister Les Murray erwartet (20 Uhr) und liest aus seinem Versepos „Fredy Neptun“ (siehe Porträt auf Seite 24).

Derweil ist Juan Marsé am Instituto Cervantes zu Gast (19 Uhr 30). Seit den Sechzigerjahren schreibt er an der literarischen Chronik seiner Heimatstadt Barcelona. Wer einmal Marsés poetische Bilder vor Augen hatte, kommt von ihnen schwerlich wieder los. In „Die obskure Liebe der Montserrat Claramunt“ (dtv) wirbelt die Unternehmertochter Montserrat das soziale Gefüge gründlich durcheinander. Nur dass ihre Zuneigung zu einem ehemaligen Gefängnisinsassen von der besseren Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Das Drama spielt sich – wie oft bei Marsé – vor den Kulissen der Franco-Diktatur ab.

Sehr empfindlich auf äußere Katastrophen reagiert hingegen Claire, die Protagonistin aus Julia Schochs Debütroman „Verabredungen mit Mattok“ (Piper). Claire ist Taschentrickkünstlerin und befindet sich gerade in einem Kurort an der Ostsee, als vor der Küste ein Öltanker auseinander bricht. Was sie umtreibt, sind die Routinen des Lebens, die jede Havarie übertünchen – obwohl doch offensichtlich alles aus dem Ruder läuft. Julia Schoch kommt heute ins Brecht-Haus (20 Uhr).

Fast ein Heimspiel hat Torsten Schulz , wenn er am 1. April ebenfalls im Brecht- Haus zur Lesung aus seinem Romandebüt „Boxhagener Platz“ (Ullstein) antritt (20 Uhr). Schulz, der bisher vor allem als Filmautor (etwa für Andreas Dresens „Raus aus der Haut“) bekannt war, erzählt von 1968 im Osten. Damals, als der Boxhagener Platz in Friedrichshain noch nicht der Szene-„Boxi“ war, sondern eher ein Bolzplatz. Als die sechsmal verheiratete Oma Otti am Tag der Republik an der Phalanx der Panzer auf der Karl-Marx-Allee vorbei musste, um auf dem Friedhof die Gräber ihrer Männer zu gießen. Damals betrank man sich noch zwanglos im „Feuermelder“. Es regierte Walter Ulbricht, der „nuschelnde Sachse mit der Piepsstimme“. Ein Mord geschieht am Boxhagener Platz auch – und von der Kommune 1 bis zur Pariser Kommune wird so ziemlich alles durchgenommen.

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