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Haveltour mit Götz Lemberg: Der Flussflüsterer

Stille Wasser, tiefe Blicke: Götz Lemberg hat mit seiner Kamera die Havel erkundet. Die Serie „H_V_L-Cuts“ wird jetzt in mehreren Kunstvereinen und kommunalen Galerien gezeigt.

Für die meisten Menschen ist die Havel eine Wasserstraße, Transportweg und vielleicht noch Reservoir für schwimmende Nahrung. Für Götz Lemberg war der Fluss über Monate hinweg ein faszinierendes Gegenüber. Der Berliner Künstler hat ihn porträtiert, wie einen Menschen, der Modell steht und langsam seinen Charakter preisgibt. Nur dass Lemberg dem Wasser gefolgt ist, statt im Atelier zu bleiben. Er hat ein Floß gemietet und seine Kamera genommen, mit der er sonst auch unterwegs ist. Ziel war die Untere Havel. Vorbei an Potsdam, Caputh, Werder, Töplitz und Rathenow; jene Orte, an denen das eindrucksvolle Ergebnis seiner Erkundung aktuell zu sehen ist.

Nicht einmal hundert Kilometer misst der Nebenfluss der Elbe bis zu seiner Mündung. Dafür dehnt er sich zum Ende hin, bildet Seen, flutet Auen und prägt an seinem Saum die Landschaft. Totes Holz ragt aus dem Wasser, orange Bojen setzen Akzente. Sobald die Sonne scheint, spiegeln sich Wolken auf der gekräuselten Oberfläche. Ein freundliches Bild, das Feriengefühle zaubert. An grauen Tagen wirkt der Fluss stumpf und unergründlich. Dennoch beherrscht eine Farbe die Reise. Im Azur des Himmels ebenso wie im schimmernden Nass, auf dem der Künstler sich durch das Havelland treiben ließ, offenbaren sich alle Facetten von Blau.

Impressionen einer Region, die ihre Geschichten erzählt

Die Havel selbst ist von träger Natur. Gemächlich, dafür unerbittlich. Man hat sie mit Kanälen gezähmt, durch Schleusen gelenkt und ins Steinbett gezwängt, aber dort, wo man das Fließgewässer seit einem Jahrzehnt machen lässt, ist ein riesiges, in Europa einzigartiges Feuchtgebiet entstanden. „Porträt einer Flusslandschaft“ nennt Lemberg seine Aufnahmen in diesem Reich der Stille. Jedenfalls glaubt man, dass nichts zu hören war, weil weder Mensch noch Tier sichtbar werden. Ein Ruderboot mit Paddelnden erweist sich als Illusion. Das Motiv stammt von einer bemalten Oberfläche, von großen Stromkästen oder Wartehäuschen. Halb Brandenburg scheint von solchen stadtkosmetischen Interventionen beglückt. Der Künstler ist, das machen die Aufnahmen klar, auch von seinem Floß gestiegen und hat in den Gegenden um das Gewässer recherchiert. Leere Straßen, agrarisch geprägte Architektur, gestutzte Hecken oder die Furchen frisch gepflügter Felder sind seine Bild gewordenen Erinnerungen. Ein verlassener Truppenübungsort wirkt wie ein Spielplatz für Erwachsene, der Blick in den Wald offenbart die ordnende Hand der Forstwirtschaft. Es sind seltsam lautlose Impressionen einer Region, die ihre Geschichte(n) erzählt.

„H_V_L-Cuts“ heißt Lembergs Serie, die sich auf mehrere Kunstvereine und kommunale Galerien verteilt. Cuts, weil sie das Havelland ausschnitthaft zeigt, auch wenn das Panorama in der Stadtgalerie Werder nahelegt, dass man ein zusammenhängendes Nass sieht. Tatsächlich sind es Stationen im Abstand von jeweils tausend Metern. Eine Ansicht für jeden Flusskilometer, von Lemberg sensibel auf eine lange Horizontlinie gebracht. So bleibt der formale Rahmen, während die Farben von Himmel und Wasser ständig variieren.

„Cuts“ erzählt aber auch von einem weiteren Eingriff des Künstlers, der viel radikaler ist: Jedes Einzelbild wurde in drei Teile zerschnitten, in Himmel, Horizont und das Wasser direkt am Floß. Die Teile hat Lemberg nach eigenen Kriterien neu arrangiert, in seinem Havelfries gibt es keine originale Kombination. Genau hier beginnt die künstlerische Interpretation. Das Dasein als Floßkapitän mag mühsam gewesen sein, doch bis dahin war die Arbeit pure Dokumentation.

Manchmal wirken die künstlerischen Eingriffe ein wenig überzogen

Wer wissen möchte, wie weit seine Strategien der Verfremdung noch reichen, der fährt zur Galerie Töplitz. Ein kleiner, verdienter Kunstverein, an dessen unverputzten Ziegelwänden lauter Bildpaare hängen. Wo Lemberg, Jahrgang 1963, nicht die Havel als Fluss im Fluss zeigt, arrangiert er Duos, die auf den ersten Blick nicht miteinander reagieren. Mit der Zeit allerdings erkennt man subtile Beziehungen. Im Grün der Seerosenblätter mit dem giftigen Farbton schaumiger Wasseralgen. Oder in der Spiegelung einer Wolkenformation.

Manches wirkt leicht überzogen, als habe der Künstler Lemberg dem Fotografen Lemberg zu viele Effekte in die Motive gemischt. Der Eindruck mag nicht zuletzt daraus resultieren, dass die übrigen Aufnahmen von eben jener unaufdringlichen Sachlichkeit leben, die hier negiert wird. Allerdings zeigt Lemberg im Potsdamer Kunstverein KunstHaus ein weiteres konträres Pärchen, das an die bunten Siebdrucke der Pop Art denken lässt und sich nur widerspenstig als Ausschnitt zweier Discounter-Logos zu erkennen gibt. Hier funktioniert die Abstraktion perfekt.

Man muss nicht alle Stationen besuchen, um einen Eindruck von der Schönheit der elegischen Natur und der ästhetischen Qualität von Lembergs Arbeit zu gewinnen. Doch es ist schon spannend zu sehen, wie differenziert sich die Atmosphäre in jedem Abschnitt der Unteren Havel vermittelt. In den sanften Kurven des Flusses finden unmerkliche Veränderungen statt. Und was die Ausstellungsorte vom historischen Gebäude bis zum multifunktionalen Saal anbelangt, hat wirklich jeder seinen eigenen Charakter.

Stadtgalerie, Uferstr. 10, Werder / Kunstverein KunstHaus Potsdam, Ulanenweg 9, / Schloss Caputh, Straße d. Einheit 2 / Galerie Kirche Petzow, Niemöllerstr. 1, Bad Belzig / Galerie Töplitz, An der Havel 68, Werder / St.-Marien-Andreas-Kirche Rathenow, Kirchplatz 10; alle bis 4. 9.

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