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Nachtleben aufmischen. Die Jugend von Amman sucht nach Alternativen zur kitschigen Habibi-Musik.

© Mauritius Images

Heavy Metal in Jordanien: Höllenlärm und Heldenmut

Heavy Metal gilt in Jordanien als Teufelszeug, doch die Szene hält tapfer dagegen. Ein Besuch in Amman.

Sie erkennen den Spion, wie sie ihn später nennen werden, bereits im Foyer. Er kommt allein, druckst und schwitzt, als sie seine Konzertkarte kontrollieren. Adam Lebzo seufzt. „Wir wussten genau, wer das war.“ Reingelassen haben sie ihn dennoch. „Wir haben doch nichts zu verbergen.“ Lebzo ist Musiker und würde er in Europa oder Amerika leben, seine Geschichte wäre keine besondere. Doch der Gitarrist, Sänger und Bassist Lebzo lebt in Jordanien und spielt Metal. Eine ideale Kombination, wenn man auf ein Leben voller Probleme aus ist.

Der Mann, den Adam Lebzo und seine Freunde Spion nennen, ist Blogger. Seinen Bericht veröffentlicht er kurz darauf auf der Webseite Sawaleif. „Bei öffentlichem Konzert gezeigte Gesten werfen Fragen auf“, behauptet die Überschrift, die mit drei Ausrufezeichen endet und gut auf den Tenor des Stücks einstimmt. Freimaurer hätten sich da getroffen, Empörung sei angebracht. „Er meint die Metal-Hand“, sagt der 23-jährige Lebzo. Geschlossene Hand, Zeige- und kleiner Finger abgespreizt. „Ich habe keinen blassen Schimmer, wie der darauf kommt, wir seien Freimaurer.“ Zu spät. Auf Facebook teilen mehrere tausend Jordanier den Artikel und den körnigen, heimlich gefilmten Konzertmitschnitt.

Lebzos Eltern, strenggläubige Tscherkessen, werfen ihren Sohn aus dem Haus. Der kommt bei Freunden unter und überredet die Sawaleif-Betreiber, seine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Die willigen schließlich ein, doch der Artikel zeigt keine Wirkung.

„Was die Menschen hier nicht kennen, macht ihnen Angst“, sagt Mohamad Ismail. Der 33-jährige Jordanier ist seit zehn Jahren in der jordanischen Musikszene aktiv und hat IndiePush gegründet, ein Start- up, das Musik jenseits des Mainstreams eine Plattform bietet. „Seit Umm Kulthum vor 40 Jahren starb, treten wir musikalisch auf der Stelle.“ Der Tod der ägyptischen Sängerin, die noch heute ungemein populär ist in der arabischen Welt, markiert für Ismail eine Zäsur. „Seitdem gibt es im Radio nur noch Habibi-Musik. Wer will das denn hören?“ Die Jugend hat jedenfalls längst andere Helden. Entsprechend sehnsüchtig wurde das von Lebzo und seinen Freunden organisierte Konzert erwartet. Ein Kinosaal, vier Bands, zwei Stunden zwischen roten Sitzen headbangen.

Nationalismus und Militarisierung sind auf dem Vormarsch

Um eine Genehmigung dafür zu bekommen, spielt Lebzo den Beamten die Musik vor und erklärt, worum es in den Liedern geht. Die nächste Herausforderung ist, einen passenden Ort zu finden. Am Ende willigt nur der Besitzer des Rainbow Theaters ein. Doch die Angst vor einer Absage in letzter Minute sitzt Musikern und Fans im Nacken. Es wäre nicht das erste Mal. Keine Fotos! Kein Alkohol! Kein Headbanging! Die Facebook-Einladung zu dem Konzert dokumentiert die Anspannung der Szene. Der Spion und sein Artikel ruiniert dann zwar nicht den Abend, zu dem rund 200 Fans kamen, doch am Morgen liegt Katerstimmung in der Luft.

Was Adam Lebzo und seine Freunde erleben, passt zu einem Trend, von dem viele progressive Jordanier berichten. Die Kriege in Syrien und Jemen und sektiererische Gewalt von bedrückendem Ausmaß vergiften das gesellschaftliche Klima. Nationalismus und Militarisierung sind auf dem Vormarsch, jordanische Schwule und Lesben halten sich noch bedeckter als ohnehin. Zwischen 1500 und 2000 Jordanier sind Daesh beigetreten, wie sie den Islamischen Staat hier abfällig nennen. Nur Saudi Arabien und Tunesien stellen mehr ausländische Kämpfer. In diesen Zeiten wollen weder Regierung noch Königshaus die konservativen Stämme gegen sich aufbringen. „Dinosaurier“ hat König Abdullah II. diese Männer einmal genannt. Auch wenn er die Aussage dem Vernehmen nach nicht bereut, versuchte er anschließend, die Wogen zu glätten. Gegen die Dinosaurier kann der Monarch nicht anregieren.

Einst gab es eine blühende Metal-Szene

Noch in den späten 90er Jahren, berichten ältere Fans, gab es in Jordanien eine lebendige Metalszene. Mit gut besuchten Konzerten und vielen Bands. Tage, die lange zurückliegen. Wer es heute ernst meint mit der Musik, geht fort. So wie die 2003 in Jordanien gegründete Band Bilocate, deren Mitglieder heute in Dubai leben. „Die Menschen waren und sind noch heute sehr feindselig gegenüber unserer Musik“, sagt Adam Lebzo. „Manchen Musikern wird das Leben zur Hölle gemacht“, ist sich auch Mohamad Ismail von IndiePush sicher. „Teil einer Gegenkultur zu sein, ist gefährlich an einem Ort, wo Menschen Veränderungen fürchten.“

Wie gefährlich, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 2013. In einem Waschraum der Universität Al al-Bayt finden Studenten verkohlte Korane und ein Mob aus rund 200 Leuten stürzt sich auf fünf Kommilitonen. Das seien Rock hörende Teufelsanbeter in schwarzer Kleidung, wird sich später einer der Angreifer rechtfertigen. Die Unglücklichen werden verprügelt bis die Polizei eintrifft. Doch statt die Schläger zurückzudrängen, verhaften die Beamten die Opfer, ein salafistischer Imam fordert gar die Todesstrafe. Es ist wohl auch dem Druck der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu verdanken, dass die Opfer schließlich freikommen.

Der jordanische Metal klingt anders als die westliche Variante

Nachtleben aufmischen. Die Jugend von Amman sucht nach Alternativen zur kitschigen Habibi-Musik.
Nachtleben aufmischen. Die Jugend von Amman sucht nach Alternativen zur kitschigen Habibi-Musik.

© Mauritius Images

Mohamad Ismail schüttelt langsam den Kopf. „Diese Gruppendynamik macht mir Angst.“ Er ist sicher, dass Musiker und Fans Vorfälle wie diesen verinnerlichen und sich am Ende selbst zensieren, bewusst oder unbewusst. Auch Adam Lebzo hat von dem Vorfall an der Universität gehört, kennt sogar eines der Opfer. „Die waren fertig mit der Welt.“ Er sitzt in einem der wenigen Szene-Cafés in der jordanischen Hauptstadt Amman. Die Luft ist rauchverhangen. Lebzo nestelt am Reißverschluss seines Camouflage-Sweaters.

An den Tischen nebenan sitzen Freunde und Bandkollegen. Adam spielt in fünf verschiedenen Gruppen und möchte sich auf kein Genre festlegen. Ob Oriental Metal, Dark Oriental Metal oder Symphonic Oriental Metal: Die Musik aus dem Nahen Osten hat einen eigenen Klang, eigene Tonleitern. Instrumente wie die Kurzhalslaute Oud oder die Tabla-Trommel prägen sie. Lebzo beugt sich vor. „Und natürlich sind auch die Texte andere. Religion und ihr Einfluss auf unser Leben spielen in vielen Liedern eine wichtige Rolle.“ Im konservativen Jordanien eine Bedrohung.

„Wenn dich irgendein bärtiger Beamter an deiner Musik hindern will, vergiss ihn einfach“, sagt Mohamad Ismail trotzig. „Heute“, sagt er, „gibt es im Nahen Osten nur eine Handvoll Indie-Bands, die von ihrer Musik leben können.“ Sein Start-up IndiePush will das ändern und Musiker mit ihren Fans weltweit vernetzen. Durchhaltewillen ist gefragt. Kaum Proberäume, keine Konzerterlaubnis und teure Importzölle für Instrumente? Ismail wischt mit der Hand über den Tisch. „Welcher Musiker hatte es denn bitte einfach?“, fragt er. „Ich kenne Leute, die bauen sich ihre eigenen Instrumente, um überhaupt spielen zu können. Und wem das Geld für ein Studio fehlt, soll halt bei McDonald’s arbeiten.“

Nach Dubai gehen oder bleiben?

Lebzo macht genau das, pendelt zwischen mehreren Jobs, arbeitet unter anderem als Übersetzer. Miete muss er nicht bezahlen, sein Vater hat ihn schließlich wieder einziehen lassen. Nicht weil er ihm verziehen hat, sondern aus Angst vor tratschenden Nachbarn. „Die ganze Sache steht noch immer im Raum“, ist sich der Musiker sicher. Auch er überlegt, nach Dubai zu ziehen. Einer seiner Freunde ist in London, ein anderer als Flüchtling in Berlin. Doch die meisten Musikfans können oder wollen weder ihre Heimat verlassen, noch auf ihre Musik verzichten.

Wie in der gesamten arabischen Welt ist auch in Jordanien die Hälfte der Bevölkerung jünger als 25 Jahre. Ein gigantisches Potenzial, um das Regierungen, Aktivisten und Konzerne wissen. Mohamad Ismail wettet mit seinem Start-up darauf, dass ein großer Teil dieser Jugend keine Lust mehr auf arabische Liebeslieder hat. Er glaubt, dass die Leute immer kreativer darin werden, ihre Musik gegen den Willen traditioneller Autoritäten zu produzieren und zu verbreiten. Musik, die ihren Hörern auch politische und religiöse Fragen stellt.

Was für eine Gesellschaft das wohl in zehn Jahren sein wird, wenn die arabischen Metal-, Rap- und Indie-Fans Karriere in Politik und Wirtschaft machen? „Wer weiß das schon“, Ismail zuckt mit den Schultern. „Aber ich bin mir sicher, dass es nicht viel mit dem gemein haben wird, was wir heute kennen.“ Er sieht nicht aus, als ob ihn das stören würde.

Florian Guckelsberger

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