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Kultur: Hebbel im Studio des Berliner Maxim-Gorki: Auf die Plätze! Fertig!! Los!!! - Mark Zurmühle inszeniert "Maria Magdalena"

"Sieh, der Sonnenschein liegt so goldig auf der Straße, dass die Kinder mit Händen nach ihm greifen ..

"Sieh, der Sonnenschein liegt so goldig auf der Straße, dass die Kinder mit Händen nach ihm greifen ... Alles lebt, alles will leben." Auch Klara, die Tochter des Tischlermeisters Anton, will leben - und will es auch wieder nicht. Eine tiefe Sorge macht ihr das Herz schwer, spricht sich aus in dem Selbstgespräch, das die junge Frau am Fenster des leeren Elternhauses hält. Vor Augen den goldenen Sonnenschein, im Kopf die schwarzen Gedanken - wer kennt ihn nicht, diesen schmerzvollen Gegensatz zwischen Draußen und Drinnen.

Das Berliner Maxim-Gorki-Theater legt dem Zuschauer, der nachfühlen will und soll, was die Person da oben empfindet, allerdings ein Hindernis in den Weg, nämlich ein Bühnenbild, das sich gegenüber der Welt und ihrem Farbenreichtum hermetisch verschließt. Das Studio präsentiert sich bei Friedrich Hebbels "Maria Magdalena" einmal nicht, wie noch bei den beiden Botho-Strauß-Abenden, als Arenabühne, sondern als kleines Guckkastentheater. Man blickt in ein Gehäuse aus schwarzen Wänden (Entwurf: Hansjörg Hartung), abgeschottet wie ein Bunker; als Fenster öffnen sich mitunter, Schießscharten ähnlich, schmale Schlitze, hinter denen ein blendend weißes Licht aufscheint. Die "mittlere Stadt", in der Hebbels Stück aus dem Jahr 1844 spielt, ist hier kein Ort, in dem sich das Biedermeier von seiner ungemütlichsten Seite zeigt, sondern ein kahles Abstraktum. Da gibt es keine goldene Sonne, die der schwangeren Tochter eines Furcht einflößend strengen Vaters das Herz mit beklemmender Wärme erfüllen könnte.

Die Not, in die Klara, hinter der sich von fern die Figur der biblischen Sünderin Maria Magdalena abzeichnet, gerät, einerseits verlassen von einem Mann, der in prekärer Situation ihr Verlöbnis aufkündigt, andererseits ausgeliefert einem Vater, der die Schande mehr scheut als den Tod - es ist eine Not, geboren aus dem Sittlichkeitsempfinden einer vergangenen Epoche. Nachfühlbar jedoch um so leichter, wenn die historischen Umstände in aller Konkretion deutlich gemacht werden. Mark Zurmühle aber, für den Petra Straß die Kostüme entworfen hat, meint umstandslos zum Ziel gelangen zu können; seine Inszenierung verweigert jene konkrete Anschaulichkeit, verwischt hier und da auch die zeitlichen Grenzen, so etwa indem sie Klara mit glänzender Garçonfrisur in einem dünnen, die Figur umschmeichelnden Seidenkleidchen wie eine Salondame aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erscheinen lässt.

Es spricht für die Kraft der jungen Schauspielerin Regine Zimmermann, dass sie, die äußerliche Laszivität überwindend, in den Kern der Rolle vordringt. Sie kämpft um den schnöden Leonhard mit einer Verve, die freilich verrät, dass sie aus der Verzweiflung kommt. Ein weher Blick aus blassem Gesicht markiert den Schluss, verweist auf das tödliche Ende mit dem Sprung in den Brunnen. Klaras Forderung "Heirate mich!" hat Leonhard - aasig kalt: Frank Seppeler - ohne Antwort gelassen. Ein beredtes Schweigen wächst sich da aus, die seltene Ausnahme an diesem Abend, der, pausenlos, Hebbels Dreiakter in glatt zwei Stunden abspult. Manfred Meihöfers Meister Anton, ein Energiebündel, das sich nur einmal, in Erinnerung an seinen Lehrherrn, einen weichen Moment gestattet; Ruth Reinecke als seine Frau, die, proper erhalten, das Urteil des Gatten, sie zeige "viel Spinnweb" im Gesicht, mit Spott quittiert; schließlich Andreas Bisowski als Sekretär, ein Jugendfreund Klaras, der als Bürohengst durchs Alphabet galoppiert, "reißend schnell bergunter bis zum Z", das Geständnis ihrer fremdverschuldeten Schwangerschaft indes mit dem geflügelten Wort "Darüber kann kein Mann weg" und rascher Kopfwendung quittiert - sie alle sprechen so flüssig, als hätten sie sich an Quasselwasser betrunken.

Was will uns der Regisseur damit sagen? Etwa dass Hebbel seinen Kleist nicht gelesen hat? Von der "Allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden" kann hier jedenfalls nicht die Rede sein. Beide jedoch, der eine wie der andere Stückeschreiber, haben gewusst, wie nötig für die behutsame Entfaltung eines dramatischen Geflechts auch einmal ein Zögern, ein Innehalten, eine Pause sein können.

Günther Grack

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