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Kultur: Heilige Helden

Kleine

von Christiane Peitz

Heute ist der Welttag des Buches. Eine gute Gelegenheit, über das Buch der Bücher nachzudenken. Denn mit der Bibel verhält es sich noch ein bisschen mehr so wie mit allen anderen Büchern. Einerseits ist der Leser ein Gläubiger: Was geschrieben steht, nimmt er für wahr. Andererseits ist jedes Schriftwerk – ob Bibel, Roman, Sachbuch oder Comic – immer auch: Legende. Und das Wort ist Fleisch geworden. Deshalb gibt es Schriftgelehrte.

Derzeit haben die Schriftgelehrten alle Hände voll zu tun. Sie fürchten um die Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift, denn das Judas-Evangelium ist aufgetaucht, der gute alte Moses taugt für ein „Spiegel“-Cover und der Heilige Gral hat Konjunktur, weil im Mai die Verfilmung von Dan Browns Bestseller „Sakrileg“ in die Kinos kommt. Darin spielt Tom Hanks einen Wissenschaftler, der mit einer jungen Französin (Audrey Tautou) vor den Mächten der Finsternis fliehen muss. Hintergrund ist eine Geheimlehre, nach der Jesus Christus mit Maria Magdalena ein Kind hatte.

Die Fantasien schießen ins Kraut, das ist gefährlich, sagen die Schriftgelehrten: Legende und Fantasy, Kirche und Kult muss man feinsäuberlich trennen. Weil die Millionen „Sakrileg“-Leser demnächst weltweit ins Kino strömen, empören sich schon jetzt amerikanische Kirchenkreise. Der Präsident der dortigen „Katholischen Liga für religiöse und zivile Rechte“ fordert ebenso wie „Opus Dei“ die Filmproduzenten auf, dem Publikum im Vorspann sicherheitshalber mitzuteilen, es handele sich um Fiktion. Der Autor täusche sein Publikum, indem er behaupte, sein Werk basiere auf Fakten.

Based on a true story. Ist das die christliche Bibel nicht auch: eine Sammlung jüdischer Schriften, ein fantastisches Geschichtswerk, in dem sogar wie bei Dan Brown Spiritualität und Sexualität hier und da Hand in Hand gehen? Und ist es nicht wunderbar, wenn die Religion, die bekanntlich Konjunktur hat, die Gemüter so nachhaltig beschäftigt? Alle Welt ist wieder neugierig auf den Mann aus Nazareth, auf heilige Helden und ihre Gefährten. Religiöse Fragen, hat die Stiftung Lesen herausgefunden, spielen in der modernen Literatur eine wachsende Rolle. Eine neue Autorengeneration greift unverkrampft und ohne Zögern „auf den reichen Schatz an Ewig-Menschlichem in der Kirchengeschichte“ zurück. Ist das nicht eine Superchance für die Kirche? Endlich befasst sich die unterhaltungssehnsüchtige Öffentlichkeit nicht mehr nur mit dem Papst, sondern mit dem, dessen Stellvertreter auf Erden Popstar Benedikt ist. Mit Gott, dem Original.

Wir sind Augenmenschen. Wenn das Wort Bild wird, schlagen die Wogen erst richtig hoch. Der moderne Streit um Kirche, Kunst und Blasphemie begann vor gut 100 Jahren mit Oskar Panizzas „Liebeskonzil“. Der Dramatiker ging dafür ein Jahr ins Gefängnis, wegen Pornografie und Gotteslästerung. Später folgten Pasolinis „Matthäusevangelium“, „Das Leben des Brian“ von Monty Python, Martin Scorseses „Die letzte Versuchung“ und zuletzt Mel Gibsons „Die Passion Christi“. Jedes Mal liefen konservative Christen Sturm. Die Bibel hat all ihre Verfilmungen bislang unversehrt überstanden.

Soeben hat ein Gericht die Plagiatsvorwürfe gegen Dan Brown zurückgewiesen. Eine höhere Instanz bestätigte erneut, dass der Autor von „The Da Vinci Code“ nicht des Abschreibens bezichtigt werden kann. Die Christenheit befindet sich seit 2000 Jahren in einem Plagiatsprozess: Was ist echt an der Bibel? Was kommt woher, wer hat wie übersetzt, wer ist der Herausgeber, und wie kommt der Kanon zustande?

Ein spannender Krimi. Auch für Ungläubige.

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