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Kultur: Heimat ist überall

...und jeder ein Fremdling: Bonns Haus der Geschichte widmet sich den Migranten

Was haben die Römer in Germanien, Prinz Claus der Niederlande, türkische „Gastarbeiter“ in Deutschland, griechische Vertriebene aus Kleinasien, luxemburgische Deserteure im Zweiten Weltkrieg und der Philosoph Baruch de Spinoza miteinander gemeinsam? Sie alle waren „Fremde“. Das behauptet jedenfalls eine aktuelle Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, an der acht europäische Museen beteiligt sind, darunter das Bijbelsmuseum in Amsterdam, das Deutsche Historische Museum Berlin, das National Historical Museum in Athen und das Schweizerische Landesmuseum in Zürich. Ab 2004 wird die Schau etwa drei Jahre lang auf Wanderschaft quer durch Europa gehen.

Das Thema des Kooperationsprojekts, „Jeder ist ein Fremder – fast überall“, weckt einige Erwartungen, zumal in Zeiten der Globalisierung. Insofern ist man überrascht angesichts der MiniAusstellung, die sich in einer Ecke des Geschichtshaus-Foyers zusammendrängt. Da sind einige Stellwände und einige wenige Exponate. Zu den Millionen „Gastarbeitern“ in Deutschland gibt es das gleiche spärliche Material wie in der Dauerausstellung zum Thema nur ein paar Meter weiter.

Ein deutsches Migrationsmuseum?

Hinzu kommen gravierende Verfälschungen. Das National Historical Museum in Athen etwa befasst sich mit der „kleinasiatischen Katastrophe“ – der Vertreibung der Griechen aus der Türkei 1923. Da ist weder davon die Rede, dass Griechenland damals einen Expansionsfeldzug gegen die Türkei führte, der mehr wollte als bloß die Vereinigung aller Griechen mit dem Mutterland, noch wird darüber informiert, dass auch der griechische Staat unter Aufsicht der europäischen Mächte den berüchtigten Vertrag von Lausanne unterzeichnete, der die „ethnische Säuberung“ von 1,5 Millionen Türkeigriechen und von 600000 Griechenlandtürken sanktionierte. Warum hat sich das Museum nicht stattdessen mit der Präsenz der 600000 Albaner in Griechenland befasst?

Doch gerade in ihrem Scheitern verrät die Ausstellung einiges über die Behandlung des Themas Migration in der Bundesrepublik. Nun gibt es zwar Versuche, in Deutschland ein Migrationsmuseum zu etablieren – eine solche Initiative entsprang erst unlängst der Bewegung der Geschichtswerkstätten. Ein solches Museum mag seine Berechtigung haben. Doch müssten die Migranten nicht zunächst im Bonner Haus in der quasi-offiziellen Geschichte der Bundesrepublik ankommen? Es wäre auch weitaus interessanter und dem Thema angemessener gewesen, wenn die an der Ausstellung beteiligten Museen – alle sind im weitesten Sinne „Heimatmuseen“ – nicht einfach irgendwelche Exponate aus ihrem Fundus zu einer halbherzigen Schau verrührt, sondern sich selbst einer Generalüberholung in bezug auf Migration unterzogen hätten.

Auch das Haus der Geschichte hätte es durchaus nötig, sich selbst kritisch in den Blick zu nehmen und zu überprüfen, inwieweit die ständige Sammlung der Vielfalt der Gesellschaft noch gerecht wird. Tatsächlich sind die Migranten dort nicht nur extrem unter-, sondern auch noch schlecht repräsentiert. Das geht dann etwa so: Es gab die Anwerbeverträge, und dann kamen die „Gastarbeiter“. Der ganze Rest wird abgehandelt mit Allgemeinplätzen wie: „Ihre Kinder und Enkel wachsen in Deutschland auf. Viele fühlen sich in beiden Ländern fremd.“ In der Buchhandlung des Hauses findet man zudem gerade mal einen einzigen Titel, der sich mit den Migranten in Deutschland beschäftigt.

Anstatt sich jedoch selbst in den Blick zu nehmen, bleibt dem großen Haus das „Fremde“ völlig fremd – und bekommt ein kleines Plätzchen im Foyer zugewiesen. Nun ist das Gerede vom „Fremden“ selbst schon ein Problem – und auch so etwas wie eine deutsche Folklore. Hier zu Lande herrscht nämlich offenbar immer noch die Auffassung vor, dass an bestimmten Orten Menschen eines bestimmten Schlages leben, die eine ganz bestimmte Identität haben und sich niemals verändern. Wenn jemand neu dazu kommt, dann ist und bleibt der eben „fremd“. Die jeweiligen „Fremden“ können sich bloß besser oder schlechter „integrieren“.

Attacke von Kanak Attak

Gut gelungen ist das, wie man der Ausstellung entnehmen kann, etwa dem seligen Prinz Claus, der als Deutscher ins niederländische Königshaus eingeheiratet hatte. Schlecht hat es bei den türkischen „Gastarbeitern“ geklappt, um die es nur wenige Zentimeter weiter geht: „Sprachprobleme und kulturelle Unterschiede erschweren die Integration der Gastarbeiter“. Jedem Kind müsste auffallen, dass hier verglichen wird, was nicht zu vergleichen ist – ein deutscher Diplomat und ein türkischer Arbeiter.

Nun funktioniert das Gemeinwesen heute nicht mehr so wie ehedem, wo wir alle – scheinbar – einmal eine Familie waren. Die Gesellschaft ist anonym und durchlässig geworden. Gerade deshalb käme es für die deutsche Gesellschaft darauf an, sich zu verändern und daran zu arbeiten, mit denen, die schon vor langer Zeit eingewandert sind, und denen, die gerade eintreffen, ein neues Gemeinwesen zu gründen – eines, das nicht mehr aus „uns“ und „den Fremden“ besteht. Völlig zu Recht hat in diesem Sinne das Migrantennetzwerk „Kanak Attak“ auf einem Flugblatt von den Kuratoren gefordert, dass die Ausstellung umbenannt werden solle. Neuer Titel: „Wir sind überall zu Hause“.

„Jeder ist ein Fremder – fast überall“, Haus der Geschichte Bonn, bis 15. Februar 2004

Mark Terkessidis

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