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Kultur: Heimatklänge

Dem Filmemacher Edgar Reitz zum 75. Geburtstag

„Autoren verändern nicht die Welt“, sagt Edgar Reitz, „sie sind Seismografen und geben den Zustand der Welt wieder.“ Dabei gehört der Autor und Regisseur einer Generation von Cineasten an, die zumindest das deutsche Kino verändert hat. Als einziger der zornigen jungen Männer, die 1962 im Oberhausener Manifest mit aller Vehemenz die Erneuerung des deutschen Kinos forderten, realisiert Reitz auch heute noch Arbeiten, die den Idealen von damals und den Konzepten des Autorenkinos treu bleiben.

Dennoch ist er kein Übriggebliebener, sondern auf seine Art immer noch ein Vorreiter, der seine unverwechselbare Handschrift unbeirrbar verteidigt; kaum ein anderer deutscher Filmemacher hätte das mühsame Gerangel um die Realisierung von „Heimat 3“ durchgestanden. Hatte ihm doch vorab ein ARD-Bonze erklärt, er dürfe alles machen, nur keinen „ReitzFilm“ – eine dreiste Aufforderung zur Verleugnung seiner künstlerischen Identität.

Schließlich glückte ihm mit den drei „Heimat“-Zyklen, dieser weit- und hellsichtigen Nahsicht auf die deutsche (Seelen-)Provinz, ein opus maximum: Im Gegenwartskino ist Edgar Reitz längst zu einer singulären Erscheinung geworden. Während sich viele Filmemacher seiner Generation auf sichere Posten zurückgezogen haben, begibt er sich als Autor und Regisseur immer noch gern ins Offene. Vielleicht sind es gerade die überstandenen Kämpfe, die ihm zu einem beispiellos langen Atem verholfen haben.

Von seinem ersten Spielfilm an, von „Mahlzeiten“ (in Venedig 1966 als bester Debütfilm ausgezeichnet) bis zum „Schneider von Ulm“, hat Reitz die Filmkritik immer wieder gespalten, wie auch Fassbinder, Herzog oder Kluge hierzulande meist umstritten blieben. Mit der ersten „Heimat“ 1985 hat sich das beim Publikum und bei der Kritik geändert – auch über das Echo des internationalen Erfolgs. Vermutlich hat keiner seiner hiesigen Kollegen etwa in Italien eine ähnlich starke Fangemeinde. Als Pesaro ihm eine Retrospektive mit den vor „Heimat“ entstandenen Arbeiten widmete, wurde „Mahlzeiten“ als Vorläufer der Dogma- Filme wiederentdeckt.

Vielleicht ist der Uhrmachersohn aus dem Hunsrückdorf Morbach manchen Deutschen einfach zu deutsch. Das könnte auch mit seiner Erzählweise zusammenhängen, mit seiner beharrlichen, am dokumentarischen Arbeiten geschulten Genauigkeit, mit der er von Menschen, ihrem Lebensraum und ihrer Geschichte erzählt. Kein Zufall jedenfalls, dass der ersten „Heimat“-Chronik der Dokumentarfilm „Geschichten aus den Hunsrückdörfern“ vorausging.

Doch die Zeiten haben sich geändert, und mit ihnen das Kino, das Fernsehen. Reitz sieht da für sich nur noch Schwierigkeiten. Sein jüngstes Projekt „Ortswechsel“ – eine experimentelle, im Grenzbereich von Theater, Musik und Film angesiedelte Arbeit – hatte soeben bei den Donaueschinger Musiktagen Premiere, genau dort, wo auch sein Held Hermann in „Zweite Heimat“ als Komponist reüssierte. In diesen Grenzbereichen, sagt Reitz, herrscht größere Freiheit. Die wird der unbeirrbare, unbeugsame Künstler, der heute 75. Geburtstag feiert und am Sonntag von der Berliner Akademie der Künste mit dem Konrad-Wolf-Preis geehrt wird, weiter brauchen und nutzen.

Hans Günther Pflaum

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