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Kultur: Heimgekehrt

Zum 80. Geburtstag des Erzählers Edgar Hilsenrath

Mit knapper Not ist Edgar Hilsenrath dem nationalsozialistischen Judenmord entkommen. Seine Bücher antworten auf das Grauen mit Grotesken, auf die Aussichtslosigkeit mit dem Witz der Verzweiflung. Es sind dem Tod abgerungene „Lebensromane“. So hat Hilsenrath sein erstes Buch „Nacht“ genannt. Es schildert seine Erlebnisse im Ghetto von Moghilev-Podolsk. Hunger lässt den Menschen zum Tier werden: Die Figur Ranek bricht gewaltsam den Mund des eben gestorbenen Bruders auf, um gegen dessen Goldzahn Lebensmittel eintauschen zu können. Nur 1000 Exemplare druckte der Kindler Verlag 1964 aus Angst vor antisemitischen Vorwürfen. Die Literaturkritik verriss „Nacht“ wegen formaler Mängel und übersah dabei das Neue: den unerschrockenen Blick des Autors.

1938 schickt Hilsenraths Vater, Kaufmann in Halle, die Familie aus Angst vor Pogromen zu den Großeltern nach Rumänien. Als dort 1941 die Faschisten an die Macht kommen, werden Juden deportiert. Hilsenrath, seine Mutter und sein Bruder werden 1944 von der Roten Armee befreit. Der 18-Jährige schlägt sich nach Palästina und Frankreich durch. 1951 wandert er in die USA aus. Von seinem ärmlichen Leben erzählt er in „Fuck America. Bronskys Geständnis“. Dabei wird er mit seinem zweiten Roman „Der Nazi & der Friseur“ (1971) Auflagenmillionär – und muss doch als Kellner arbeiten: Sein Taschenbuchverlag macht pleite, ihm entgehen die Tantiemen. In der Groteske erzählt ein Massenmörder, wie er nach dem Krieg die Identität eines seiner jüdischen Opfer annimmt. Das Buch macht Hilsenrath in Deutschland berühmt. Dorthin ist er 1975 zurückgekehrt. Der Mann mit der Baskenmütze zieht nach Berlin, legt 1989 mit „Das Märchen vom letzten Gedanken“ einen Roman über den Völkermord an den Armeniern vor und schildert in „Jossel Wassermanns Heimkehr“ (1993) die Welt des Schtetl. Das Archiv liegt in der Berliner Akademie der Künste. Hilsenrath ist angekommen in Deutschland. „Berlin Endstation“ soll sein neuer Roman heißen. Heute feiert er seinen 80. Geburtstag.

Jörg Plath

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