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Kultur: Heimkino

„Medea“ im Haus der Berliner Festspiele

Sage keiner, Jason käme nicht gründlich seinen Versorgungsehepflichten nach! Dass die vielerorts historisch längst überholt sind, macht ja nichts. Der Wirtschaftsmanager kleidet also die Einwanderin, die ihm in den Westen gefolgt ist, nur in die edelsten Zwirne. Und die durchdesignte Wohnung, die sie zu Beginn von Grzegorz Jarzynas zeitgenössischem „Medea“-Projekt vom Wiener Burgtheater beziehen, ist selbstredend geräumig genug für lustige Ballspiele mit den wohlgeratenen Söhnen (Tobias und Angelo Margiol). Wenn die niedlichen Vorschuljungs im Haus der Berliner Festspiele, wo die Inszenierung des jungen polnischen Regisseurs im Rahmen der „Spielzeit Europa“ gastiert, mit ihren Eltern sportlich um den Ball rangeln, sieht das ganz nach Familienidylle à la Milchschnitte-Werbung aus.

Doch Kinder hin, Haustier her: Sylvie Rohrers nach innen gekehrte Medea fremdelt, während sich Roland Kochs geschäftigem Jason geradewegs aus dem Fahrstuhl eine treffliche Karrierechance entgegenstreckt: Es handelt sich um das nackte, wohlgeformte Bein einer schätzungsweise Zwanzigjährigen namens Justine (Mareike Sedl), deren Vater irgendwie Einfluss hat. Und schon nimmt das Ehe-Elend seinen fernsehrealistischen Lauf: Es fallen Sätze wie „Es kann so nicht weitergehen“ und „Es ist nicht, wie du denkst“. Rohrers Medea schaut immer hitchcockhafter – und hat auch allen Grund dazu. Denn die mysteriösen Anrufe, die sie in ihrer Wohlstandseinsamkeit erreichen, werden immer David-Lynch-mäßiger.

Genau: Vielleicht hat diese Medea ja tatsächlich einfach nur zu viele Filme gesehen. Und die Anwehungen des Mythos, des Surrealen, auf die sich Jarzynas Inszenierung stets zurückzieht, wenn das antike Vorbild sich nicht in das wohlfeile Fernsehformat hineinpressen lässt (was bei „Medea“ naturgemäß oft passiert), sind Albträume. Doch selbst dann: Der Grund für den platten psychologischen Realismus, der an einer plausiblen Hinleitung zum Kindsmord zwangsläufig scheitern muss, überdies kaum eine Minute ohne musikalische Untermalung auskommt und den Mythos zum Ehedrama verkleinert, ist damit noch lange nicht erhellt. Christine Wahl

Haus der Berliner Festspiele, 12. 1., 20 Uhr und 13. 1., 14 Uhr

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