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Profiliert. Eine der seltenen Aufnahmen Heino Jaegers.

©  Salzgeber

Heino Jaeger: Ein Mann für alle Rollen

„Look before you kuck“ – Gerd Kroskes Doku über den vergessenen Comedy-Star Heino Jaeger.

Von Caroline Fetscher

Aufgewühlt ruft ein Vater bei „Fragen Sie Dr. Jäger“ an, der Radiosendung für Rat in allen Lebenslagen. Sein Sohn habe heute ein Einfamilienhaus abgefackelt, im Moment stecke er auch noch das Wohnzimmer zu Hause in Brand. „So was ist in unserer Familie noch nie vorgekommen!“, echauffiert sich der Anrufer. Ob er das jetzt der Feuerwehr melden müsse? Dr. Jäger, mit jeder Pore Psychologe, hört gefasst zu, gibt sachliche Signale wie „ja“ oder „ah ja“ ab und beruhigt den Mann genauso sachlich. Nun, das sei die Pubertät, das werde sich legen. Die Feuerwehr zu rufen sei „pädagogisch falsch“. Der Vater solle dem Sohn lieber in aller Ruhe den Wert von Privateigentum erläutern. Und alle Normen stehen Kopf, in diesem Radiosketch aus den siebziger Jahren.

Immer sprach Jaeger, wie hier mit Vater und Psychiater, alle Rollen. „Fragen Sie Dr. Jäger“ lief damals zweimal im Monat im WDR und schuf kleine Heino-Jaeger-Gemeinden, die jede Sendung mitschnitten. „Er war ein Jahrhundertgenie“, schwärmte Eckhard Henscheid. Hanns Dieter Hüsch, der Jaeger fürs Radio entdeckt hatte, nannte ihn einen erbarmungslosen Ohrenzeugen. Olli Dittrich bezeichnet sich als „von ihm infiziert“, und Loriot staunte: „Wie konnte es geschehen, dass Heino Jaeger 25 Jahre ein Geheimtipp blieb?“ Seine Antwort: „Wir haben ihn wohl nicht verdient.“

Der „Grzimek“, den Jäger seine Zootiere beschreiben lässt, findet sich wieder in Loriots berühmtem Sketch mit der Steinlaus, die sein Grzimek dem Fernsehpublikum zeigte. Das Rentnerehepaar, das in Jägers Dialog – einem seiner sardonischsten – in seiner Einkapselung erfasst wird, findet sich in Loriots legendärem Sketch mit der Ehefrau wieder, die den Ehemann überreden will, seinen Sessel zu verlassen. Doch wo Jaeger wie ein Beckett oder Büchner in den Abgrund sprang, spannte Loriot ein lustiges, luftiges Trampolin auf – er machte Ideen wie die von Jaeger massentauglich. Jetzt allerdings ist die Zeit reif, den Inspirator selber zu entdecken.

Wer der 1938 geborene Mann war, der sich osmotisch in seine Figuren verwandelte, das wusste kaum jemand zu seinen Lebzeiten – und nach seinem Tod 1997 schienen die Spuren Heino Jaegers erst recht gelöscht. Nun wurde der Dokumentarfilmer Gerd Kroske bei einer Handvoll Freunden und Weggefährten fündig, bei einigen Sammlern der grotesken Zeichnungen und Gemälde des Mannes, der sich mehr als bildender Künstler denn als Satiriker verstand. Kroskes Film „Look before you kuck“ ist das fulminante Resultat. Entstanden ist das dichte Porträt des abgründigen Jaeger, der ostentativ verwahrlosend am Hamburger Hafen in einem Keller hauste, worin eine britische Offiziersuniform das einzig gepflegte Stück war. Jaeger tauschte auf St. Pauli seine Zeichnungen gegen Bier, seine Kunden waren unter anderem Bordellbetreiber. Mit seinem besten Freund, dem Autor Joska Pintschovius , einem der zentralen Zeugen des Films, unternahm Jaeger Forschungsreisen durch die Republik. Beide waren angezogen vom Absurden, von den grotesken Grenzanlagen der DDR, von Manöverspielen auf Truppenübungsplätzen, von Brachland und Ruinen. Mit der dogmatischen Rhetorik ihrer 68er-Zeitgenossen verband sie wenig, noch weniger mit den Altnazis, die in Kneipen Reden schwangen.

Jaeger, ein Kriegskind, war von Bombennächten traumatisiert, die Obszönität des Militärischen fesselte seine zeichnerische Fantasie, wie der Wahn des Nachkriegsalltags in ihm Satire produzierte. Hatte Jaeger jemandem zugehört, konnte er stundenlang in die Sprechrolle des Anderen fallen. Was daran lustig sein soll, fragten Leute: „So rede ich doch auch?!“

Wenn Jaeger einen salbungsvollen Pastor, einen seine Phrasen zelebrierenden Politiker wiedergab, einen Rentner am Stammtisch oder den jovialen Chef bei der Kündigung eines Angestellten, verwandelte er sich in den Anderen. Akzente, Dialekte, Tonfälle, männliche und weibliche Stimmen klingen derart authentisch, dass ironische Elemente manchmal nur aus den Fugen zwischen den Sätzen hervorblitzen. Indirekt entlarvten Jaegers improvisierte Texte, dass das Entsetzliche den Rang des Normalen erhalten hatte, wo der Horror des Bagatellisierens herrschte. Manches, etwa Jaegers „Interview mit Hitler“, wurde nie gesendet, es galt als unzumutbar. Heino Jaeger hatte zu viel verstanden und wurde zu wenig verstanden. Diese fatale Kombination ließ ihn in der Irrenanstalt enden.

Kroskes Film setzt der komplexen Person Jaeger mit Bedacht kein Denkmal. Vielmehr lässt er Jaeger in all seiner Verzweiflung und Komik lebendig werden. So ergänzt die Hommage „Look before you kuck“ auf das Schönste die umwerfenden Hör-CDs, die Aficionados bereits seit einiger Zeit entdecken.

Central, Krokodil, Tilsiter-Lichtspiele

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