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Mach mal lauter. Nachwuchshörer beim Sommerhit-Genuss.

© picture alliance / dpa

Heiße Rhythmen: Gestern Regen, heute happy

Zum Ferienbeginn erinnern wir uns an unsere liebsten Sommerhits: 6 Tracks von 1966 bis 2014.

SOMMER 1966: „Sunny“ von Bobby Hebb

Ein Sommerhit, der die Sonne im Text wie im Titel trägt. Ein Evergreen, der zu den meistgecoverten Popsongs des vergangenen Jahrhunderts gehört. Langweilig? Von wegen. Nicht wenn es um das wunderbare Lied „Sunny“ von Bobby Hepp geht. Das besitze ich in vielfacher Ausfertigung – auf zwei tollen Samplern, die vor ein paar Jahren bei Roof Music erschienen. Und immer wenn ich sie mir anhöre, passiert dasselbe. Ich summe mit, werde leicht, werde froh, und irgendwann ertappe ich mich bei dem Gedanken: „Hey, was kommt jetzt wohl als Nächstes für ein tolles Lied?“

Na, was soll da schon groß kommen auf einem „Sunny“-Sampler, natürlich „Sunny“. Aber weil kein „Sunny“ dem anderen gleicht, die Vokal- und Instrumentalversionen geschickt gemischt sind, Wilson Pickett eine bluesigen Stoßseufzer daraus macht, Leonard – Mr. Spock – Nimoy einen kuriosen Countrysong und Nancy Wilson eine elegante Swingnummer, zeigt der 1966 veröffentlichte Song keinerlei Abnutzungseffekt. Cher, Dusty Springfield, Paul Kuhn, Boney M., Stevie Wonder, Cro – der von zarter Melancholie in strahlende Sonnigkeit drehende Soulklassiker erleuchtet sie alle. Genauso wollte das der 2010 in seiner Geburtsstadt Nashville verstorbene Bobby Hebb: er hat „Sunny“ 1963 geschrieben, um die Trauer über zwei Tode zu verwinden – den von John F. Kennedy und den seines großen Bruders, der bei einer Messerstecherei starb. „Sunny, yesterday my life was filled with rain“. Und morgen wird es vielleicht wieder so sein. Und wenn schon. Es gibt nur ein Leben und nur diesen Sommer. Gunda Bartels

SOMMER 1974: „España“ von Cindy & Bert

Schlager-Status zu erreichen, das haben nur ganz wenige Klassik-Melodien geschafft: Mozarts „Kleine Nachtmusik“, ein Alltime-Evergreen, Beethovens „Ode an die Freude“, totgenudelt als Europa- Hymne, Bizets Torero-Marsch, mit dem Quatschtext „auf in den Kampf, die Schwiegermutter naht“ – und Emmanuel Chabriers „España“. Wie bitte, wer soll das denn sein? Nicht unter seinem Namen, sondern als Chart-Erfolg von Cindy und Bert kennt alle Welt die Hauptmelodien aus Chabriers Tondichtung „España“. 1975 hat sich das Gesangsduo den einzigen Publikumserfolg, der dem kleinen dicken Mann aus der französischen Auvergne zu Lebzeiten (1841–94) vergönnt war, jukeboxtauglich verpoppt. „Dibbedip, dibbedip, dibbedip, olé!“, schmettert der Background-Chor, und das Ehepaar trällert „Wenn die Rosen erblühen in Málaga, ist für uns zwei der Sommer der Liebe da“. Brutalste, schamlose Klassikfledderei ist das – und beste Sommerhitware. Ein perfekter Sangria-Song, bei übermäßigem Konsum genauso benebelnd wie der aus Fruchtsaft und Rotwein gepanschte Party-Punsch. Wer allerdings jemals das Glück hatte, Chabriers Original von einem Spitzenorchester gespielt zu hören, der weiß: In der Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts ist schwerlich ein eleganter instrumentiertes, in satteren Klangfarben schillerndes Stück zu finden als „España“. Frederik Hanssen

SOMMER 1979/94: „Don’t Stop Me Now“ von Queen

Er kramte im CD-Schrank meiner Eltern. „Ihr müsst doch irgendwas von Queen haben“, murmelte er, leicht verzweifelt. Fand, weit hinten, „Greatest Hits“, immerhin! Dieses schwarze Cover, die vier Männer in Lederjacken, Freddie Mercurys riesiger Schnauzbart, es hat sich eingebrannt in meine Erinnerung an diesen Sommer 1994, als ein Austauschüler aus Derbyshire mir den Hit meines Lebens schenkte. Wunderbar rothaarig, sommersprossig, schlaksig fragte er ständig: „Would you like a cup of tea?“ Ich wollte lieber knutschen. Zwei Wochen voller Zahnspangenküsse, in denen wir „I’m having such a good time“ grölten. Die Verliebtheit war nicht haltbarer als ein Teebeutel, die treibende Rocknummer blieb für immer im Kopf. Wenn heute das langezogene „Tonight...“ erklingt, kann ich einfach nicht anders, „like a rocket ship on my way to mars...“ Anke Myrrhe

SOMMER 2009: „Heavy Cross“ von The Gossip

Es war der Sommer der „fetten, feministischen Lesbe aus Arkansas“. So beschrieb sich die Sängerin Beth Ditto damals selbst und verzückte mit ihren Pfunden, ihrer Stimme und ihrer Band halb Europa. Der Gossip-Hit „Heavy Cross“ katapultierte sie aus der Indie-Hipster-Szene Portlands direkt auf die Magazin-Cover und das Sofa von „Wetten dass..?“.

Die knallige Disko-Punk-Nummer beginnt mit Uhhuhu-Gesumme, nervös-gedämpftem E-Gitarrenspiel und ein paar Keyboard-Tupfern. Dann steigert sich das Stück so unwiderstehlich in seine Klimax hinein, dass man jedes Mal in die Mitte der Tanzfläche stürmen möchte. Habe ich tatsächlich ein paar Mal gemacht in diesem Jahr. Auch aus Freude darüber, dass diese queere Band, die ich seit ihrem 2006 erschienenen Album „Standing In The Way Of Control“ mochte, mal eben zu einer allseits beliebten Mainstream-Größe aufgestiegen war. In Deutschland hielt sich „Heavy Cross“ monatelang in den Top Ten. Es lief im Radio, bei Partys und in Cafés. Sogar aus den Lautsprechern eines Belgrader Kaufhauses, das ansonsten irgendwie im Jahr 1986 stecken geblieben war, habe ich es in diesem Sommer gehört. Für vier Minuten brachte es ein bisschen Glitzerkugelglam in die postsozialistische Tristesse. Nadine Lange

SOMMER 2014: „Happy“ von Pharrell Williams

Um Mitternacht schlendert Pharrell Williams an der Tanke vorbei, und da ist schon mal der Kassierer im Bild, der gleich vorm Shop ein bisschen traurigbrav auf der Stelle tanzt. Aber dann kommt sie und hat ihre vier Minuten Unsterblichkeit: Blaues Jäckchen (das fliegt bald weg), weißes Shirt, hautenge türkisfarbene Jeans, und auf einmal ist der ölfleckenübersäte Asphalt eine Bühne, sind die Zapfsäulen, die Eisbox, das „Try Our CAR WASH“-Werbeschild bloße Requisiten. Diese Dunkelhaarige da umtanzt das alles und tanzt das alles davon, albert mit dem Zapfschlauch rum, planscht mit dem Scheibenwaschschwamm, robbt sich tanzend voran, ist immer und überall ganz Körper und federleicht und geht nach vier Minuten, so will’s die Spielregel, keck aus dem Bild. 12:24 bis 12:28 AM, irgendwo in L. A., California: Das ist ihr Ort, ihre Zeit. Nachher sind die tanzenden Figuranten in dem tollen 24-Stunden-Video 24hoursofhappy.com wieder eher bloß unterwegs, auf unebenen Bürgersteigen und eine Winzigkeit erdschwerer. „Happy“, ein Winterhit, weil seit November online? Ach was, der Sommer fängt gerade erst an. Jan Schulz-Ojala

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