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Kultur: Helden der Zweideutigkeit

Altmodische Entertainer: Neue und letzte Platten von Rocko Schamoni und Helge Schneider

Es gibt Sätze, die einem den Mut rauben. „Das Leben geht weiter“ ist so ein Satz. Meist bedeutet er genau das Gegenteil dessen, was er behauptet. Die Freundin ist einem weggelaufen, man hat sich vor Kollegen auf der Weihnachtsfeier bis auf die Knochen blamiert oder, hoho!, den alten Opel überteuert an Dritte weiterverscherbelt, aber immer heißt es: „Das Leben geht weiter.“ Warum nur? Wir wissen doch, dass es das gerade nicht tut, oder nicht tun sollte? Jedenfalls nicht wie vorher. Ein Seufzer schwingt mit in dieser lauwarmen Weisheit, weshalb man sie am wenigsten auf einer Pop-Platte erwartet, wo sich Schmerz, Lust und Sehnsüchte austoben. Nicht so auf dem neuen Werk des Hamburger Entertainers Rocko Schamoni. „Und alles macht weiter“, singt der 40-jährige Tausendsassa, und meint: einer nicht. Er selbst nämlich. Während im Hintergrund Synthesizer zur Untermalung der Situation lange, klebrige Fäden ziehen, lautet Schamonis Credo: „Wir sind gekommen / Um wieder zu gehen.“

Ein Abschied. Schamoni zieht Bilanz: „Bei Gott, ich schwöre, ich habe gelitten.“ Zwei Jahrzehnte schufte er bereits in dem „Kompressorraum“ der Popkultur, in dem er sich auswringe, um zu überleben. Nun reicht’s. „Zu viel Kraft landet in etwas, das wie eine Billigpizza konsumiert wird.“ Er wolle nun, kündigt er an, seine Zeit „mit der Welt verbringen“. Vermutlich also weiter Bücher schreiben. Zuletzt hatte er das sehr erfolgreich mit „Dorfpunks“ getan, einem amüsanten Abriss seiner Jugend. Im April sollen „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ folgen. Tatsächlich lässt sich Schamonis eigenwillige Musiker-Karriere darauf verkürzen.

Zum Abschluss seines Schaffens als zwielichtiger Punk-Entertainer bringt er nächste Woche mit „Rocko Schamoni & Little Machine“ eine nachtschwarz-melancholische CD heraus (Trikont), die noch einmal den Antagonismus seines schillernden Wirkens umkreist. Sanftmütige Balladen wie „Leben heißt sterben lernen“ schleichen durch existenzialistisch-verschattete Gefilde, „Muster“ persifliert das Adorno’sche Diktum vom richtigen Leben im Falschen, das mitreißend-poppige „Zu dumm, um frei zu sein“ postuliert den Mitmenschen genau das, und „Jugendliche“ hat ebenfalls nur gallige Verachtung für die Pseudo-Rebellen übrig, die Nadelstreifenanzug und Irokesenfrisur tragen („Seid ihr Punks, oder was?“). Falls Schamoni aber von Zorn getrieben sein sollte, dann verflüchtigt sich dieser in gnädig pochenden Soul-Beats, wehenden Bläsersätzen und dem metallischen Samtton des Fender Rhodes Pianos. Auch dem Abgang ist jenes sublime Pathos eigen, das man als Ironie missverstehen kann.

Denn Schamoni, der Spaßpunk aus dem schleswig-holsteinischen Lütjenburg, stand als Solokünstler schon immer dem sentimentalen Croonertum eines Frank Sinatra näher als dem Diskursrock der „Hamburger Schule“, zu deren Dunstkreis er gezählt wird. Frappant ist seine Weigerung, Leidenschaften irgendeine Berechtigung einzuräumen. Ihm, der sich als „Diskoteer“ inszenierte, den „schweren Duft von Anarchie“ beschwärmte und als Mitglied der Komiker-Truppe Studio Braun in die Abgründe der deutschen Gutgläubigkeit blickte, ging es stets um den guten, gefühlvollen Song, um den Hit, den er freilich nur mit der Zeile „Du wählst CDU, darum mach ich Schluss“ einmal (fast) hatte. Auf einen Stil ließ sich Schamoni nie ein. Aber auch mit dem Ringen seiner Weggefährten um Selbstvergewisserung, um politische Haltungen und philosophische Fragen verband ihn wenig. Dass er in seinem ersten Buch „Risiko des Ruhms“ von einer fiktiven Gründungsveranstaltung der unter Musikern stets umstrittenen „Loveschool Hamburg“ (Schamoni) berichtete und den Star der Szene Jochen Distelmeyer eine faszinierend originalgetreue Rede halten ließ, bestätigte ihn als Meister der Mimikry. Und wie alle Verstellungskünstler seit Odysseus ist Schamoni im Grunde ein Zeitgeistverweigerer: ein verkappter Traditionalist, dem Punk alles kaputtgemacht hat. So ummäntelt er sein altmodisches Temperament mit oberflächlichen Vexierspielen.

So ähnlich geht es auch Helge Schneider. Der hat den knalligen Humor gewählt, um nicht als Jazzmusiker in der Sackgasse zu enden. Zwar wird dem Mühlheimer Multiinstrumentalisten gerne ein genialisches Talent bescheinigt (er könne mit der einen Hand Klavier und mit der anderen Trompete spielen, heißt es), aber was sagt das über seine Musik? Am liebsten hört sein Publikum ihn ohnehin reden. Was einmal begann, „um die Leute abzuholen“, wie Schneider sagt, ist längst zum eigentlichen Ereignis und Kulturgut geworden. Als ständiges Scheitern am Glück der Pointe.

Auf seiner neuen Platte „I Brake Together“, die am Freitag erscheint, gebärdet sich Schneider wie gewohnt als kindischer Stilverwalter, der seine konventionellen Songideen mit absurden deutschen Texten aufpeppt. Das ist nicht ohne Witz. Vor allem da, wo er sich über den klassischen Rock’n’Roll hermacht, mit den „Trompeten von Mexiko“ die jauchzende Mariachi-Folklore adaptiert und in „Texas“ einen Country-Song nachbaut. Doch schon das Titelstück, eine knarzige Delta-Blues-Persiflage, verströmt den zweifelhaften Charme des ärmlich Nachgespielten. Und allenfalls ulkig ist das Duett mit Udo Lindenberg, in dem die beiden einen imaginären Dialog versingen, aber so gewunden, so gestelzt, dass es kracht. Wes Geistes Kind Schneider ist, spürt man nur bei den Coverversionen von „Fly Me To The Moon“ und „Georgia On My Mind“. Hier, im Äußersten der Imitation, fällt der Imitator plötzlich von ihm ab, und die Musik ergreift Besitz von ihm.

So kann auch Schneiders ungefähr elfte Studioplatte nicht verhehlen, wie tief der gebürtige Mühlheimer im Muckertum verwurzelt ist. Gegen die Gefahr, für ein Auslaufmodell gehalten zu werden, wappnet er sich mit den Gesten des schrulligen Spaßvogels. Hinter der schrägen Kostümierung, der kindlich- krächzenden Stimme und dem ganzen clownesken Getue verschwindet seine Person so vollständig, dass man das gerne für eine Tugend des Medienzeitalters hält. Dabei führt der 51-Jährige allenfalls das Drama des verkannten Musikers auf, dessen eigentliches Talent in einer Welt der Schlüsselreize nichts wert ist, weshalb er es umso hemmungsloser an nichtsnutzige Songs wie „Katzeklo“, „Das Möhrchen-Lied“, „Telefonmann“ oder „Käsebrot“ verschleudert.

Die Trash-Kultur verschleiert so manchen Anachronismus. Helge Schneider kann wohl ewig so weitermachen. King Rocko nicht. Das ist dann doch bedauerlich. „Am Ende erlischt das Licht“, singt er, „und alles macht weiter.“ Kein Trost.

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