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Kultur: Helden des Nichts

„Beijing Bubbles“: Ein Film über den chinesischen Punk-Underground zeigt den Spaß am Ausstieg

Das China-Bild in westlichen Medien, sagt Susanne Messmer, erinnere sie manchmal an die „Borg“ aus Star Trek. Ein Volk von eisern disziplinierten Arbeitsbienen, dessen Stärke darin liegt, Technologien anderer Kulturen zu assimilieren und in ein Zentralbewusstsein einzuspeisen. Individualität gibt es bei den Borg nicht. So zog es die Musikjournalistin und den Labelbetreiber George Lindt 2004 gemeinsam nach China, zu dem erwachten Riesen, der seine Milliarden Arbeitskräfte wie nach einem eigenen, gleichförmigen Arbeitstakt zu Wachstumsrekorden treibt. Die beiden Berliner wollten erkunden, ob das boomende Land tatsächlich so eindimensional hinter Konsum und Karriere geeint ist wie vormals hinter der Mao-Bibel. In Peking stießen sie auf eine überschaubare, aber dafür umso enthusiastischere Musikszene, die den Nonkonformismus kultiviert: Punk is not dead, er ist nicht totzukriegen. Für einen kleinen Kreis junger Chinesen ist das keine hohle Attitüde, sondern heiliger Ernst.

„I wanna sing, drink and fuck“ sagt Bian Yuan in die Kamera, bevor er sich kichernd seiner Freundin zuwendet, die wie auf Knopfdruck mitlacht. Er ist Sänger der Band Joyside, die in der Dokumentation „Beijing Bubbles“ von Lindt und Messmer eine Hauptrolle spielt. Aus einer Laune heraus gründete Yuan 2001 mit seinen Mitbewohnern in einem schimmeligen Keller eine Punkband. Er hatte sein Studium abgebrochen und schrieb Songs über Liebe, Hass, Alkohol und Langeweile. Mit wilden, verschwitzten Konzerten etablierten sich Joyside im Pekinger Underground und rühmen sich heute, die „bekannteste Indie-Band Chinas“ zu sein. Trotzdem sind sie ein winziges Randphänomen. In der 15-Millionen-Megastadt Peking dürfte es an Wochenenden so viele Punk-Konzerte geben wie in Dortmund.

„Subkulturelle Nischen passen nicht ins chinesische Erfolgsmodell“, erklärt Susanne Messmer und muss das China-Klischee vom staatsbeschleunigten Kapitalismus ein Stück weit bestätigen. Es sei aber nachvollziehbar, dass sich die Allermeisten für einen Aufstieg in der Gesellschaft interessierten und nicht, wie die in „Beijing Bubbles“ vorgestellten Musiker, für einen Ausstieg aus ihr. „Wer bei der Kulturrevolution in die Provinzen geschickt worden ist, um mit den Landbauern zu arbeiten, bringt heute überhaupt kein Verständnis für junge Leute auf, die sich den Bildungs- und Karrierechancen der Metropolen entziehen“, sagt Messmer. In China herrscht Konformitätsdruck von drei Seiten: Ehrwürdige Tradition, zäher Kommunismus und der entfesselte Konsum lassen kaum Luft für individualistische Lebensentwürfe. Dass dennoch Rückzugsmodelle entwickelt werden, wollen die beiden Filmemacher mit ihren Streifzügen durch Pekings Clubs, CD-Läden und Wohnbaracken zeigen.

Dabei folgt „Beijing Bubbles“ keiner dramaturgischen Linie, glänzt aber umso mehr mit Lebensnähe und Spontaneität. Vom Proberaum führt Liu Donghong, Sänger der Blues-Band Sha Zi („Sand“), das Filmteam in die Wohnung seiner Mutter, die kurzerhand zum Essen und anschließenden Karaoke einlädt. Mit einem Gang durch ein Pekinger Amüsierviertel endet der Tag vor einsamen Schaufenstermusikern, deren süßlicher Manda- Pop den allgegenwärtigen Massengeschmack bedient – das Casting-Spektakel „Mongolische Kuh Joghurt Supergirl“ zählte vergangenen Sommer 400 Millionen Fernsehzuschauer. In Bian Yuans abgewracktem Apartment flimmern Videospiele über den Bildschirm, und ein Camping-Zelt steht im Wohnzimmer. Vorigen Sommer habe er draußen gewohnt, erklärt er in passablem Englisch, und die wackelige Kamera schwenkt über den vermüllten Balkon, auf dem noch immer eine Matratze liegt. Im Hintergrund wachsen aus einer unüberschaubar weiten Baustelle betongraue Türme in die Höhe, und der Horizont schimmert in düsterem Smog. Wovon er lebe? „Borgen“, sagt Bian Yuan, „ich borge mir Geld von Freunden, Eltern, Bekannten.“

Auf Pump ist auch „Beijing Bubbles“ entstanden. „Wir haben unseren Dispo-Kredit ausgereizt und sind mit einer Handkamera losgezogen“, erzählt George Lindt, der bereits einen Film über die Musikszene Hamburgs gedreht hat. Kraftvoller und energetischer als hiesige Newcomer findet er Joyside oder New Pants, deren Konzertmitschnitte mit Pickeln, Pogotanz und Flying-V-Gitarren unweigerlich an die siebziger Jahre in England erinnern. In China kennen die wenigsten Zuschauer die popkulturellen Referenzen der Bands. Was für die westliche Stilpolizei wie ein abgeschmacktes Sex-Pistols- Remake aussieht, gilt dort als heroischer Nihilismus ohne jedes Marketing-Kalkül.

Kommerzialisierung des Rock’n’Roll ist auf lange Sicht nämlich nicht zu erwarten, dazu fehlen schlicht die Vertriebsmöglichkeiten. Raubkopierer greifen auf eine bessere Infrastruktur zurück als der Musikhandel. Der Staat sieht über Urheberrechtsverletzungen hinweg. Die nötige Öffentlichkeit für eine Popularisierung des Punk besteht ohnehin nicht: Während die englische Presse sich 1976 überschlug, als Johnny Rotten F-Wörter im Fernsehen aussprach, kann Wang Yue, Frontfrau der „Riot Grrrls“ von Hang on the box, so viel auf die Bühne pinkeln wie sie will – der gleichförmige Mainstream straft das Punk-Gebaren mit Ignoranz, und nicht mal die kommunistische Partei nimmt Anstoß an der aufkeimenden Jugendkultur.

„Absolutely Nothing“, antwortet der 29-jährige Bian Yuan dann auch auf die Frage, was seine Musik mit Politik zu tun habe. Anders als für eine Riege chinesischer Rockmusiker, die Ende der achtziger Jahre die Demokratiebewegung mit anschob, ist Musik für die Bands aus „Beijing Bubbles“ vor allem Eskapismus. So wie für T9, einen ehemaligen Grunge-Sänger, der sich in eine Klangwelt aus mongolesischem Obertongesang und traditionellen Instrumenten zurückgezogen hat. Als Einziger lässt er im Film ein Stückchen alter asiatischer Kultur anklingen.

Sein hedonistischer Gegenpol, der exaltierte Bian Yuan von Joyside, ist für eine Tournee zum Filmstart nach Berlin gekommen. Mit den drei Bandkollegen wundert er sich über das rege Journalisteninteresse in einem Café im Prenzlauer Berg. Er wolle großartigen Rock’n’Roll machen, so wie Jim Morrison, gibt Bian Yuan zu Protokoll. Und sein etwas schläfriger und doch reflektierter Gesichtsausdruck versichert, dass ihn tatsächlich nichts anderes auf der Welt interessiert. Recht untypisch eigentlich, für einen „Borg“.

„Beijing Bubbles“ läuft ab 19. April im Central und Eiszeit, Joyside treten am 20. April im Roten Salon auf.

Tobias Haberkorn

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