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Kultur: Helden im Sarg

Doris Soffel und Eliahu Inbal beim BSO im Berliner Konzerthaus

Eliahu Inbal ist ein selbstgewisser Mann. Er werde das Berliner Sinfonie-Orchester an die internationale Spitze führen, wenn man ihm nur Zeit dafür gebe. Zu Beginn seiner zweiten Saison als Chefdirigent betritt er das Podium des Konzerthauses mit dem erhobenen Haupt derer, die sich mit ihrem Zeitplan in Einklang wissen. Und in der Tat ist nicht zu überhören: Das BSO spielt unter Inbal klar, strukturiert, mit sauberen Konturen. Doch dem nach allen Regeln kapellmeisterlicher Kunst arrangierten Tableau fehlt, was auch die Erzeugnisse akademischer Maler vermissen lassen: eine aufgestoßene Tür, die einen Weg aus dem Setzkasten des Repräsentativen heraus weist. Dabei hätte das Programm des Abends durchaus Chancen zum entschiedenen Ausbrechen geboten – gerade weil die versammelten Werke so sehr an der bürgerlichen Kulturkonsumsehnsucht entlang komponiert wurden.

Doch Inbal interessiert sich wenig für den antiken Tempel im Kurpark, den Cherubini mit seiner „Anakreon“-Ouvertüre errichtet. Das bescheidene formale Gerüst will er aufgestellt sehen – und nickt zufrieden. Auch die bizarren Versuche der Académie de France, ihren Nachwuchs durch den prestigeträchtigen Prix de Rom auf die gültigen Werte des akademischen Kunstbetriebs zu eichen, lassen Inbal kalt. Berlioz sollte fünf Anläufe benötigen, um endlich das zweijährige Stipendium für die Villa Medici zu erringen. In „La mort de Cléopatre“, dem Versuch Nummer vier, verwischt Inbal die Grenzen zwischen Zopfigkeit und Genie zu einem unergründlichen Ganzen, zusätzlich abgeschirmt von der betörend herrischen Sopranistin Doris Soffel. Ihre stimmliche Attacke sitzt perfekt, der Abstieg in die dunklen Klangregionen ist bestens ausgeleuchtet, das Zucken des Todes kein naturalistischer Vorgang, sondern ein kühles Ritual. Legte man den Text zur Seite, so könnte man glauben, diese Frau hätte kraftvoll in eine Schlange gebissen – und nicht umgekehrt.

Absurde Züge nimmt Inbals Orchester- Aufbauprogramm schließlich bei Strauss’ „Heldenleben“ an: Diese gigantische Selbstinszenierung eines Pantoffelrutschers erscheint – sauber zusammengeschraubt – als ein gewaltiger gründerzeitlicher Wohnsarg. Und gegen dessen Muffigkeit ist auch ein aufgeräumtes Orchester machtlos. Wer so hart trainiert wie das BSO unter Inbal, der vergisst schnell, Fragen zu stellen. Und weiß plötzlich gar nicht mehr, was eigentlich ein Gewinn ist.

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