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Kultur: Heldin der Arbeit

Die Leidenschaft der Kolumnistin: Nuala O’Faolains irischer Bestseller „Ein alter Traum von Liebe“

LITERATUR

Aus sich etwas zu machen: Nuala O’Faolain ist es gelungen. Mit ihrem Lebensbericht „Are You Somebody?“ hat sich die Dubliner Journalistin einen Namen in der literarischen Welt erworben. Die Geschichte einer Klosterschülerin, die entgegen den Erwartungen ihrer Gesellschaft einen eigenen Weg geht, rief bei irischen Lesern, bis hin zu in Amerika heimischen Landsleuten wie Frank McCourt, einen bemerkenswert herzlichen Widerhall hervor.

Bei uns „Nur nicht unsichtbar werden“ betitelt, fand dieses Zeugnis einer Emanzipation in Elke Heidenreich, einer Generationsgenossin der Autorin, eine begeisterte Fürsprecherin. Inzwischen hat sich O’Faolain, langjährige Kolumnistin der „Irish Times“, entschlossen, endgültig die Seiten zu wechseln, und mit Mitte Fünfzig ihren ersten Roman geschrieben: „My Dream of You“, 2001 in New York erschienen, liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. Aus dem Originaltitel, der auf ein Gedicht Eugenio Montales anspielt („Il mio sogno di te“), ist hier „Ein alter Traum von Liebe“ geworden – ein bisschen herzschmerzhaft.

Gekaufte Zeugen

Liebe, passion: „Ich hatte schon immer eine Schwäche für Geschichten, in denen es um Leidenschaft ging“, bekennt Kathleen de Burca, die Ich-Erzählerin des Romans. „Also interessierte ich mich auch für Mrs. Talbot und William Mullan.“ Es sind dies die Hauptfiguren eines historischen Scheidungsfalls aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, „Talbot gegen Talbot“, überliefert durch Verhandlungsprotokolle und Zeitungsberichte. Richard Talbot, englischer Besitzer eines irischen Landgutes, klagte da gegen seine Frau Marianne, die er einer Liebesbeziehung mit einem irischen Stallburschen bezichtigte.

Ob zu Recht, ist eine Frage, die sich nicht mehr aufklären lässt: Aussagen von Zeugen, die Mrs. Talbot und William Mullan in flagranti ertappt haben wollen, können vom Gatten erkauft worden sein. Und zwar deshalb, weil Richard Talbot nur unter einer Bedingung zum Erben und Eigentümer des Gutes Mount Talbot werden konnte: wenn er einen Sohn hatte. Wollte er Marianne, mit der er es nur zu einem Töchterchen gebracht hatte, loswerden zu Gunsten einer neuen Heirat?

Nuala O’Faolain hat sich mit der Reisereporterin Kathleen de Burca, die diese „story about passion“ recherchiert, um daraus womöglich einen Roman zu verfertigen, ein Alter Ego geschaffen. Beide von Lebensjahren und Beruf her in ähnlicher Situation, unverheiratet und kinderlos, konfrontiert mit der Frage, ob das nun alles gewesen sein soll, fühlen sie sich in die tatsächliche oder vermeintliche Paarbeziehung Marianne-William in einer empathischen Weise ein, als wäre es ihnen sehr recht, daraus eine Liebesgeschichte à la „Lady Chatterley’s Lover“ von D. H. Lawrence zu machen.

Beide müssen jedoch einsehen, dass der Fall mangels eindeutiger Beweise in der Schwebe bleibt. Die historischen Dokumente, die sich in Archiven gefunden haben und nunmehr, kursiv gesetzt, in das Buch aufgenommen worden sind, wirken übrigens in ihrem altväterlich-umständlichen Duktus durchaus authentisch. Wären sie es nicht, hätte die Autorin ein Kunststück vollbracht, das man ihr bei allem Wohlwollen nicht zutrauen mag. Es spräche schlicht gegen ihre Natur.

Flucht von der Insel

Das lebhafte Temperament, das sich hier ausspricht, ohne Bedenken, geschwätzig zu werden oder sich in der Wiederaufnahme alter Fäden zu verheddern – es macht zugleich den Reiz dieses Romans aus. Nuala respektive Kathleen erzählt, vom Heute ins Gestern schweifend und zurück, von ihren Erfahrungen im journalistischen Milieu, in dem Kollegen ihr die Familie ersetzen; sie beschreibt anschaulich Landschaften und Ortschaften, Menschen und Tiere, Wind und Wetter. Sie hat Freude daran, Gedichte zu zitieren von Shelley, Keats und Byron wie auch von Rilke; sie gestattet sich ironisch-sarkastische Anmerkungen zum irisch-englischen Verhältnis sowie historische Exkurse in das Irland der von Kartoffelfäule ausgelösten katastrophalen Hungersnot von 1845–1848, in der die Insel durch Tod und Auswanderung eine Million Menschen verlor.

Vor allem aber scheut sie sich nicht, freimütig ihr Bedürfnis nach Liebe zu verraten, nach hautnaher Leidenschaft, sei es im folgenlosen One-Night-Stand oder auch in der längeren Beziehung zu einem verheirateten Mann, allerdings ohne rechte Zukunft. Sentimentalität lässt sie nicht aufkommen; was ihr als rettende Zuflucht bleibt, weiß sie: die Arbeit. Und das ist das große Verdienst dieser Autorin: ihre Aufrichtigkeit.

Nuala O’Faolain: Ein alter Traum von Liebe. Roman. Aus dem Englischen von Marion Sattler-Charnitzky und Jürgen Charnitzky. Claassen Verlag, München 2003. 543 Seiten. 22,90 €.

Günther Grack

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