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Ednlosdebakel. Berliner Hinterhofgesellschaft dem Weg zum Mond

© Joachim Fieguth

Herbert Fritsch: "Frau Luna" an der Volksbühne: Den Mond nicht zu voll nehmen

Nach "Murmel Murmel" und "Die (s)panische Fliege": Herbert Fritsch küsst Paul Linckes Operettenkracher "Frau Luna" an der Berliner Volksbühne wach.

Der Mechaniker Fritz Steppke fühlt sich zu Höherem berufen. Mit dem Charme eines Berliner Hausmeisters – das Deckhaar hingebungsvoll blondiert, den Sonntags-Overall im Schulterbereich ambitioniert aufgebläht – macht er sich im leeren Rund der Berliner Volksbühne an einem rosafarbenen Luftballon zu schaffen. Das handelsübliche Kindergeburtstagsaccessoire stellt – um Unterkomplexitätsmissverständnissen vorzubeugen – nichts Geringeres dar als Steppkes Lebenswerk: einen höchst anspruchsvollen „Express-Ballon“, der bodenständige Berliner Kleinbürger in „Nullkommanischt“ ins All katapultiert. Die Nachbarn Pannecke (Werner Eng) und Lämmermeister (Stefan Staudinger), noch um einiges breitschultriger und kleinkarierter als der Hobby- Konstrukteur, sind so begeistert, dass sie spontan ein Stepptänzchen auf die Drehbühne klacken, bevor sie den Mechaniker (Florian Anderer) hoch motiviert auf seinem Trip zum Mond begleiten.
Logisch, dass Regisseur Herbert Fritsch diesen „Trip“ genüsslich in seiner schönen Doppeldeutigkeit belässt: Die Vermutung, dass es sich bei der Reise zu „Frau Luna“ lediglich um eine piefige Berliner Hinterhof-Entgrenzungsfantasie handelt, die durch bewusstseinserweiternde Substanzen hervorgerufen wurde, liegt nahe. Denn für die Rezeption von Paul Linckes krachlederner Hauptstadt-Mechaniker-Operette ist ein klares Bewusstsein ohnehin nicht zwangsläufig von Vorteil: Die Spießer-Crew, die da unter dialektal gefärbtem Kalaueraufkommen ins All aufbricht, sich dort, sofern es der eigene Marktwert zulässt, klemmigen Seitensprunggelüsten hingibt und final geläutert feststellt, dass die fesche Luna ihr auch nicht wesentlich überirdischer in den Schritt greift als das anverlobte Mariechen daheim auf der Mulackstraße, ist wirklich harter Schenkelklopferstoff.
„Frau Luna“ strotzt vor Herren im sogenannten besten Alter, die angesichts ihrer wunderbar überdreht im lila Kostüm sich nähernden Verlobten (Nora Buzalka) konsterniert ausrufen: „Wer kommt denn da? Mir wird ganz schwach! Das ist ja, oh Schreck, die Pusebach!“ Völlig zu Recht hat Dramaturgin Sabrina Zwach die biederen Schlüpfrigkeiten aus Heinz Bolten-Baeckers Libretto auf die Spitze getrieben und genüsslich in eine Art Freud’schen Dauerversprecher übersetzt: Nicht nur Fritz Steppkes Begegnung mit der Mond-Frau Luna, der grandios Laszivität parodierenden Sopranistin Ruth Rosenfeld, wird zu einem Loriot-affinen Endlosdesaster aus krachledernstem Fäkalvokabular. Auch Frau Lunas Angestellter Theophil, der zur kurzen Hose knallgelbe Kniestrümpfe kombiniert und in Jakob Krazes Darstellung selige Trash-Erinnerungen an Louis de Funès als „Gendarm von Saint Tropez“ weckt, tut die Hyperhumorisierung gut, wenn er einem Trupp kichernder Mondelfen seine Erfolge mit spätpubertären Busengrapschereien im Tiergarten berichtet.

Man kann Herbert Fritsch keine billige Ranschmeißer-Mentalität vorwerfen

Kurzum: Es sind schon ein paar gute Ideen vonnöten, um hier und heute Paul Linckes 1899 im Berliner Apollo-Theater uraufgeführte und bis 1922 immer wieder überarbeitete Operette, deren schmissiger Marsch von der „Berliner Luft“ es ja zu weit überregionaler Popularität gebracht hat, auf die Volksbühne zu stemmen. Und Herbert Fritsch – der amtierende Komödienkönig, der es in seinen besten Inszenierungen wie kein Zweiter versteht, innere Spießerverklemmungen so hochnotkomisch wie undenunziatorisch nach außen zu stülpen – hat sie. Spätestens, wenn die kleine Berliner Ballon-Reisegesellschaft auf dem Mond landet und der Volksbühnen-Chor der Werktätigen in fleischfarbenen Ganzkörperanzügen auf Fahrrädern das Szenario entert, ist das Publikum angemessen aus dem Häuschen. Dabei kann man Fritsch beileibe keine billige Ranschmeißer-Mentalität vorwerfen: Er hätte es sich leichter machen können. Natürlich ist das, was er hier vornimmt, auf den ersten Blick eine veritable Operetten-Dekonstruktion. Hubert Wilds Prinz Sternschnuppe etwa, der in schlammfarbenem Kunstlederanzug ständig der schönen „Frau Luna“ nachhechtet, sich aber leider schon beim Eingangsdefilee in der Federboa verheddert, könnte trashiger kaum sein. Wie er auf einer Fußbank Platz nimmt und gefühlte zehn Minuten lang vergeblich versucht, den eigens für ihn herangeschobenen Flügel zu erreichen, um endlich mit allerletzter Kraft und schmerzverzerrtem Gesicht den Flohwalzer anzuklimpern, ist bester Fritsch-Theater-Slapstick, der sich tunlichst nicht um Werktreue schert. Und die Mechaniker-Freundin Marie – in der Vorlage quasi ausschließlich damit beschäftigt, einen „Flunsch“ zu ziehen und ihrem Gatten in spe die Mondsuchtsflausen aus dem Kopf zu treiben – wird auch nur deshalb zu einer der größten Freuden des Abends, weil die tolle Schauspielerin Annika Meier sie in eine wunderbar Sissi-affine, altklug-biedersinnige Koketterie hinein parodiert.

Aber de facto funktioniert Fritschs Inszenierung gerade deshalb, weil er sich in der schieren Dekonstruktion nicht erschöpft: Die Elektroklänge des dreiköpfigen Luna-Orchesters – Doris Kleemeyer, Fabrizio Tentoni und der musikalische Leiter des Abends, Ingo Günther – bestechen mit tadellosem musikalischen Anspruch und grandiosen Ideen. Den besagten Gassenhauer – „Das ist die Berliner Luft“ – kann man sich in der minimalistisch verfremdeten Volksbühnen-Version, bei der die Akteure die gepriesene Luft am Ende nur noch chorisch aus sich heraushecheln, als Hochkulturkonsument jedenfalls ebenso wunderbar anhören wie die Nummer von den „vier Reisenden aus Berlin“, die sich – wie der Abend überhaupt – gewitzt bei allen erdenklichen musikhistorischen Leuchttürmen von Kraftwerk bis zum Marlene-Dietrich-Tremolo bedient. An Konsequenz lässt Herbert Fritschs dezidiert kulissen- und requisitenarme Bühne nichts zu wünschen übrig: Auf geboten schräge Weise opulent sind in diesem Kleinbürgertraum lediglich die Mieder, Wischmopperücken oder beutelartigen Ganzkörper-Geschenkrosetten, in die Fritschs Stammkostümbildnerin Victoria Behr die Akteure gewohnt stilsicher gesteckt hat. Vom festen Volksbühnen-Ensemble sind diesmal übrigens wenige dabei: Fritsch hat seine hochklassigen Akteure aus Ensembles mitgebracht, mit denen er seinen inszenatorischen Triumphzug einst, noch vor dem ganz großen Regieruhm, begonnen hatte: Die meisten Schauspieler stammen aus Oberhausen, Schwerin, Bremen. Die dicke Staubschicht der Story indes können natürlich auch Fritsch und sein Team nur bedingt entfernen. Sagen wir es so: Sie haben aus „Frau Luna“ das Beste herausgeholt, zumal fürs klassische Volksbühnen-Publikum. Und das ist bei Weitem nicht das schlechteste Kompliment, das man einer Aufführung zu Spielzeitende machen kann.

wieder heute, 21., sowie 22., 27., 29.6.

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