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Kultur: Herr Diepgen, übernehmen Sie!

"Treffpunkt Tagesspiegel: Reif für die Insel" - eine erregte Debatte über Berlins KulturpolitikChristiane Peitz Zum Beispiel die Museumsinsel. Da hat Berlin eine einzigartige Sammlung der Weltkunst, die gerade erst von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

"Treffpunkt Tagesspiegel: Reif für die Insel" - eine erregte Debatte über Berlins KulturpolitikChristiane Peitz

Zum Beispiel die Museumsinsel. Da hat Berlin eine einzigartige Sammlung der Weltkunst, die gerade erst von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Und ihr Generaldirektor Peter-Klaus Schuster muss aus der Presse erfahren, dass der Kultursenat die Subventionen für die diesjährige Etappe des Umbaus um 25 Millionen Mark kürzen muss. Oder die Opernhäuser. Alle drei spielen nicht an diesem Montagabend. Keine Vorstellung in Europas Opernstadt Nummer eins - einer Stadt, die nicht wegen ihrer Parks oder Sportmöglichkeiten aus dem In- und Ausland besucht wird, sondern wegen ihres Kulturangebots.

Nur zwei von vielen Skandalen, die beim "Treffpunkt Tagesspiegel" im Hotel Intercontinental für Aufregung sorgen. Dabei liefert die aktuelle Meldung von den Kürzungen bei der Museumsinsel gehörigen Zündstoff für die Debatte. Kulturstaatsminister Michael Naumann stellt klar, dass der Bund mit der Verdoppelung des Hauptstadt-Kulturfonds Berlins Kulturszene zwar mehr denn je unterstützt, dass er aber in Sachen Museumsinsel gesetzlich gezwungen sei, bei einer Reduzierung der Landesmittel auch die Bundesmittel entsprechend zu kürzen. 50 Millionen Mark weniger im Jahr 2000, das bedeutet Baustellen-Stop am Bode-Museum und das vorläufige Aus für Schusters aufsehenerregenden Masterplan. "Wenn uns die Wiederherstellung der Museumsinsel nicht gelingt", warnt Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, "sind alle politischen Bekenntnisse nichts mehr wert."

Staatssekretär Alard von Rohr, der die Kulturbehörde für die erkrankte Senatorin Christa Thoben wenig überzeugend vertritt, wiegelt wie einst Peter Radunski mit Bemühenszusagen ab. Man bemühe sich, den fehlenden Betrag mit Geldern aus Brüssel auszugleichen und zu klären, ob der Bund auch in diesem Fall seinen vollen Anteil von 100 Millionen Mark einbringen könne. Ein Verfahren, das man hätte festklopfen müssen, bevor man öffentlich Kürzungen bekanntgibt, wie Naumann zu Recht kritisiert.

"Reif für die Insel - Berlins Kulturpolitik zwischen alten Konzepten und neuen Möglichkeiten", so das Motto der Veranstaltung. Auf der Anklagebank standen zunächst eben jene alten Konzepte. Defizite, die bei gesetzlich vorschriebenen Tariferhöhungen und gleichbleibendem Etat vorprogrammiert waren. Ungenügende Wirtschaftsplanung, mangelnde Kontrolle, obendrein eine Haushaltssanierung der Stadt via Kulturpolitik, auch mit Hilfe von Bundesgeldern. Wohin sie mitunter versickert sind, lässt sich bis heute nicht nachprüfen. "Claus Peymann vom Berliner Ensemble wurden schriftlich Bundesmittel zugesichert", erregt sich Michael Naumann. Auch anderen Theater-Intendanten erhielten solche Zusagen, von denen die Bundesbehörde nicht einmal Kenntnis hatte. "Seit sechs Jahren gibt es kein Theaterfinanzierungskonzept, sondern Sparbeschlüsse unter dem Titel Planungssicherheit," bestätigt Schaubühnen-Direktor Jürgen Schitthelm aus dem Publikum. Auch der ehemalige Intendent Ivan Nagel meldet sich zu empört Wort: Lücken im städtischen Haushalt könnten doch nicht im Ernst durch weitere Kürzungen des ohnehin nur zwei Prozent betragenden Kulturetats gestopft werden. Alard von Rohr hat zu all dem wenig zu sagen. So steigt die Unruhe im überfüllten und bald leidenschaftlich mitdebattierenden Saal.

Dennoch: Thema der Runde sind weniger die wechselseitigen Schuldzuweisungen zwischen Bund und Land, zwischen Sparsenat und der Misswirtschaft einzelner Häuser. Thema ist die Hoffnung auf Berlin als Kulturmetropole. So gut besucht war ein "Treffpunkt Tagesspiegel" selten: im Publikum Theaterleiter, Museumsdirektoren, Komponisten, Filmschaffende, die Literaturszene. Das rege Interesse beweist aufs Schönste, dass die Theater, Museen und Künstler der Bundeshauptstadt das größte Pfund darstellen, mit dem Berlin wuchern kann, der wichtigste Standortfaktor, der weit vor der Wirtschaft rangiert. "Kulturpolitik muss endlich Chefsache werden," appelliert Peter von Becker, Feuilletonchef dieser Zeitung, an Bürgermeister Eberhard Diepgen und erntet Applaus mit seiner Bemerkung, dass es nicht nur ums Geld geht, sondern um die Substanz der Stadt, um die Selbstverständigung einer Gesellschaft und ihrer Bürger: "Wo sonst, außer vielleicht in der Liebe, sind solch existentielle Erfahrungen auf friedlichem Wege möglich?" Auch Michael Naumann gibt ein klares Bekenntnis zur Kultur-Hauptstadt ab und verteidigt seine abwesende Berliner Kollegin: "Ein klares Wort des Regierenden ist gefragt. Und das kann nur lauten: Wir werden Christa Thoben nicht im Regen stehen lassen."

So paradox es klingen mag: Krisen tun gut. Sie zwingen zu klaren Positionen. Ein Hauptstadt-Kulturvertrag muss her, so Peter von Becker. Ein Gesamtkonzept muss erarbeitet werden, so Wissenschaftssenator a.D. George Turner in seinen gelassenen und pointierten Moderationen. Kulturpolitik ist auch Bürgerangelegenheit, resümiert Klaus-Dieter Lehmann. So viel zumindest ist klar: Die aktuelle Finanznot bringt schon jetzt mehr Engagement mit sich. Engagement von unten, das den Politikern Beine macht.

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