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bondy

© Ruth Walz

Kultur: Herrschaft der Herzen

Luc Bondy inszeniert wieder eine Liebeskomödie von Marivaux. Diesmal beim Festival d’ Automne in Paris. Vor 22 Jahren ließ er "Triumph der Liebe" an der Berliner Schaubühne aufführen.

Lesestunde im Haus der Marquise. Der Privatgelehrte Hortensius lobpreist die Wohltat der Vernunft und geißelt die Schädlichkeit der Sinne mit schütteren Zitaten aus staubigen Büchern. Der Dame gefällt das, denn sie hat ihren gerade erst angetrauten Ehemann verloren, befindet sich also in Trauer. Wir sind bei Marivaux und wissen, dass sie großen Versuchungen erliegen könnte. Entweder sie verfällt in die kapriziöse Rolle der ewigen schwarzen Witwe – oder sie folgt ihrem Herzen, das ein seit kurzem benachbarter Chevalier entflammt hat. Nur mit halbem Ohr lauscht sie den Worten des verschrobenen Gelehrten, den der Ausnahmeschauspieler Pascal Bongard als ewigen Studenten spielt, der seine große Stunde wittert. Außer den paar Bücherbündeln, die er in einem Einkaufswagen vor sich herschiebt wie ein Penner seine Habseligkeiten, hat der Mann nichts. Könnte er auf immer bei der Marquise bleiben, seine Existenz wäre gerettet.

Der Mann – heute würde er zum intellektuellen Prekariat gehören – ist die einzige Figur, die weiß, dass im Tauschhandel der Güter und Gefühle die einen lebensnotwendig sind und letztere Luxus. Das weiß auch Marivaux (1688 - 1763), da es ihn aber wenig interessiert, vertreibt er den Mann in der Mitte des Stücks, entlässt ihn in die kalte Freiheit und kümmert sich nur noch um die Probleme der Herzen.

Was für eine reizende Nachbarschaft ist das, in Marivaux’ „La Seconde Surprise de l’Amour“! Im Rahmen des Pariser Festivals d’Automne hat Luc Bondy sie im Théâtre des Amandiers im Vorort Nanterre in Szene gesetzt. Die zweite, überraschende Liebe: Die Marquise trauert, auch der Chevalier beklagt den Verlust einer untreuen Geliebten. Die beiden teilen sich einen Garten, wo man im Wettstreit um das gelungenste Lamento lustwandeln kann. Beide haben Diener, die smarte Lisette und den einfältigen Lubin, und die erkennen sofort, dass die beiden Herrschaften mehr füreinander empfinden als Freundschaft. Würde der Chevalier seine Reisepläne aufgeben, dann könnten auch die Diener ein Paar werden. Weil sie aber schon von Liebe reden, während die Herzen der Herren sich noch zieren, verkompliziert sich die Angelegenheit zwei Akte lang bis aufs Äußerste.

22 Jahre liegen zwischen dieser „Zweiten Liebesüberraschung“ und Luc Bondys legendärer Inszenierung von Marivaux’ „Triumph der Liebe“ an der Berliner Schaubühne. Auch da hatte die Ratio gegen die Sinne gekämpft, litt ein weltabgewandter Philosoph an entflammten Herzen. Auch damals kleidete Moidele Bickel die Schauspieler ein, schuf Karl-Ernst Herrmann ein gewaltiges barockes Gartendekor. Wobei sich die ungleich größere Opulenz der damaligen Regie mit dem größeren dramaturgischen Reichtum des „Triumphs der Liebe“ erklärt und mit den noch üppigeren Theateretats. Eine Generation später setzt Bondy fast ausschließlich auf Schauspieler in einfachen Kostümen, begnügt sich in zwei kurzen Stunden mit einem Grundton, nur einer Bühnenbild-Metapher. Hier sprechen nicht die Bilder, sondern die Akteure.

Bei ihrer ersten Begegnung stehen die Liebesabenteurer verschämt und neckisch nebeneinander, wie Jugendliche an der Bushaltestelle. Micha Lescot stolziert in gelber Hose und dunklem Jackett über das schwarz gestrichene Spielfeld wie ein schwuler Großstädter, Clothilde Hesme spielt die Marquise in schwarzem Kleidchen emanzipiert, aber naiv. Hin und wieder ziehen sich die beiden in zwei schwarze Häuschen zurück, die KarlErnst Herrmann an die Enden eines langen Laufstegs gebaut hat, der sich fast über die ganze Breite der Bühne erstreckt. Trauerflor umhüllt das Häuschen der Marquise, Tüll, in dem man sich verfangen kann. Unmerklich schieben sich die Häuser aufeinander zu: So rückt Bondy unausgesprochene Gefühle ins (Bühnen-)Bild.

Der Berliner „Triumph der Liebe“ endete dramatisch. Die Pariser „ Liebesüberraschung“ endet mit einer Doppelhochzeit. „Nun los, freut euch“, ruft Diener Lubin, aber Freude kommt nicht auf. Die Welt der Liebe, diese letzte Insel der Sinne in einem Universum der Notwendigkeiten, hat nur noch melancholische Bewohner.

Infos: www.festival-automne.com

Eberhard Spreng

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