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Ankunft im Westen. Die spätere Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und Richard Wagner, 1987 im Durchgangslager Nürnberg.

© Matthias Müller-Wieferig, Archiv Richard Wagner

Herta Müller: Der Himmel über dem Banat

Zwischen ihren Büchern – zuletzt "Die Atemschaukel" – brauche sie zwei bis drei Jahre Pause, verrät Herta Müller, "denn so viel Substanz habe ich nicht". Eine Münchner Ausstellung zeigt bislang unveröffentlichte Dokumente aus ihrem Leben

„Nein, ich habe kein neues Projekt.“ Die Standardfrage „Was schreiben Sie gerade?“ entlockt der Literatur-Nobelpreisträgerin ein Schmunzeln. Zwischen ihren Büchern – zuletzt „Die Atemschaukel“ – brauche sie zwei bis drei Jahre Pause, verrät Herta Müller, „denn so viel Substanz habe ich nicht“. Stattdessen stellt sie zurzeit wieder ihre berühmten Collagen her, Zufallsfunde aus deutschen oder rumänischen Zeitungen und Zeitschriften, auf Postkartenformat beschränkt, „mit einem Reim als kleinem Motor, der alles antreibt“ und am Schluss mit einem Foto versehen. Mit der Zeit haben sich die geklebten Texte zur zweiten eigenständigen Gattung entwickelt, der die 56-Jährige – wie so oft – aphoristische Einsichten abgewinnt: „Wenn’s geklebt ist, kann man nichts mehr ändern. Wie im Leben.“

Gemeinsam mit ihrem Banater Jugendfreund Ernest Wichner ist die Autorin an diesem kühlen Apriltag ins tulpenumstandene Münchner Literaturhaus gekommen, um die Ausstellung „Herta Müller. Der kalte Schmuck des Lebens“ zu eröffnen. Als sein Münchner Kollege Reinhard Wittmann mit der Idee an ihn herantrat, eine Exposition über Herta Müller zu entwerfen, habe er zunächst gezögert, sagt der Leiter des Literaturhauses Berlin. Denn Ausstellungen über lebende Autoren sind ungewöhnlich, schließen sie eine kritische Würdigung doch praktisch aus. Und Herta Müllers Texte könne er ohnehin nur als Freund beurteilen, sagt Wichner. Die Autorin wiederum ist froh, dass es nicht nur um sie selbst gehe, sondern um die „ganze rumäniendeutsche Landschaft“.

Trotz der Bedenken hat es sich gelohnt, dass sich Ernest Wichner und Lutz Dittrich als Kuratoren an die Arbeit gemacht haben: Die Texte und Lebensspuren stützen sich gegenseitig. In elf Stationen aus Müllers Leben versammelt, beginnend mit ihrer Tischrede bei der Nobelpreis-Verleihung im Dezember 2009 in Stockholm. Gleich daneben schockieren zwei Dokumentarfilmsequenzen von der Erschießung der rumänischen Diktatoren Ion Antonescu 1946 und Nicolae Ceausescu im Dezember 1989. Antonescu, Gründer der faschistischen Eisernen Garde, hatte die Rumänen an Hitlers Seite in den Zweiten Weltkrieg geführt, eine Schuld, die später oft einseitig den Rumäniendeutschen angelastet wurde.

Herta Müllers Vater meldete sich mit 17 zur SS-Division Frundsberg, der auch Günter Grass angehörte. Ihre Mutter wurde nach Kriegsende wie der Siebenbürger Sachse Oskar Pastior zur Zwangsarbeit in ein ukrainisches Lager deportiert. Fast sechzig Jahre später reisten Pastior, Müller und Wichner in die Ukraine, was in Filmausschnitten zu sehen ist. Den 2006 so plötzlich verstorbenen Oskar Pastior vor den ausgewachsenen Pappeln zu sehen, die er als Häftling habe pflanzen müssen, gehöre für sie zu den berührendsten Momenten, sagt Herta Müller.

Blaugrau, die Grundfarbe der Ausstellung, erinnert an den weiten Himmel über dem Banat, das Holz der Möblierung an die ländliche Herkunft der Schriftstellerin. Die Enkelin eines enteigneten Bauern und Getreidehändlers wollte Schneiderin werden. Ihre Mutter Katharina, die viele Exponate beisteuerte, hätte sie gern als Lehrerin gesehen. „Ich lernte in der Schule, wie man Wörter schreibt, wie man sagt, was man nicht denkt. Ich hatte das gedruckte schwarze Sprechen in der Haut.“ So schildert Herta Müller in ihrem nach „Niederungen“ zweiten Buch „Gedrückter Tango“, 1984 im Bukarester Kriterion-Verlag erschienen, die Atmosphäre ihrer Schul- und Studienzeit.

Doch noch lächelt sie als Prinzessin Tausendschön bei einer Theateraufführung der Grundschule von Nitzkydorf dem Betrachter entgegen, später als stolze Absolventin einer „Deutsch-Olympiade“. Ende der sechziger Jahre erlebte Rumänien, die grausamste Diktatur Osteuropas, einen kurzen Kulturfrühling. 1972 fanden sich junge rumäniendeutsche Freigeister zur „Aktionsgruppe Banat“ zusammen, darunter Ernest Wichner, der früh aus dem Leben geschiedene Lyriker Rolf Bossert und Richard Wagner, Herta Müllers späterer Mann.

„Man hat die Freiheit, die man sich nimmt“, meinten die damaligen Anarcho-Marxisten, bis sie vom Geheimdienst Securitate eines Besseren belehrt wurden. Ein Teil der Gruppe wurde bei einem angeblichen Fluchtversuch 1975 verhaftet, das gesamte Hochhaus, in dem das Ehepaar Müller/Wagner wohnte, rund um die Uhr überwacht: „Feigheit und Kontrolle waren allgegenwärtig.“ Danach werden die Metaphern schwerer, dominieren die für Herta Müller so typischen kraftvollen Epigramme der Enttäuschung. 900 kopierte Seiten aus ihrer Securitate-Akte durchziehen, auf eine Schnur aufgespannt, als schwarz-weiße Schlange den Saal. Sie überragen die rund 400 Exponate auf Augenhöhe, rascheln in die Erklärungen aus dem Audio-Guide hinein. Viele Texte hat Müller eigens zu diesem Zweck geschrieben. Erst im letzten Jahr erhielt sie Einsicht in Teile ihrer Akte „Cristina“, die von der Securitate-Nachfolgeorganisation noch „bearbeitet“ wird. Immerhin hatte ein Forschungsauftrag der Münchner Universität den Vorgang etwas beschleunigt.

1983 verpflichtete ein staatliches Dekret alle „physischen Personen“ im Besitz von Schreibmaschinen, diese polizeilich genehmigen zu lassen. Müller wurde der Besitz ihrer „Adler-Tippa S“ zwar erlaubt, doch begannen bis zu ihrer Ausreise nach West-Berlin im März 1987 nun die härtesten Jahre für sie. Denn sie wurde nicht nur vom Geheimdienst behindert, sondern auch von der gleichgeschalteten deutschen Landsmannschaft attackiert.

„Kompliziert“ nennt sie ihr Verhältnis zu den Banater Schwaben bis heute. Bis heute beschäftigt sie die Frage, wie ihr Freund Roland Kirsch zu Tode kam. Der Ingenieur, Poet und Fotograf wurde im Mai 1989 in seiner Wohnung in Temesvar erhängt aufgefunden. Müller glaubt nicht an Selbstmord. Den Sänger Peter Maffay, ein Siebenbürger Sachse, der im Gegensatz zur ihr seine Liebe zur rumänischen Heimat bekennt, beschimpft sie in einer Einspielung. Danach entlassen Herta Müllers Collagen den Besucher überraschend heiter aus dem blaugrauen Heimatkundemuseum: „Das gelbe Glück ein enormes Einzelstück.“

„Herta Müller. Der kalte Schmuck des Lebens“: bis zum 20.6. im Literaturhaus München, vom 24.9. bis 21.11. im Literaturhaus Berlin und ab 9.12. im Stuttgarter Literaturhaus.

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