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Kultur: Herzen sehnen sich nach Liedern

THEATER

In den Dreißigerjahren besang der Krakauer Tischler Mordechai Gebirtig die Dämmerstunde des osteuropäischen Judentums: Der Alltag im Schtetl, das Leben im Ghetto werden bei ihm zur pointenreichen wie volkstümlichen Angelegenheit. Arbeitslosigkeit und die Suppe am Abend waren ihm ebenso Thema wie die Liebe und das Feiern.

Diese Verschränkung von Tragik und Humor beseelt auch die Berliner Hommage an den Dichter und Sänger, der 1942 beim Brotholen von einem deutschen Soldaten erschossen wurde. Der Abend „Das Herz sehnt sich nach Liedern“ des Theaters Yiddishspiel aus Tel Aviv fand im Rahmen der 17. Jüdischen Kulturtage im Berliner Ensemble statt. Der israelische Dramatiker Joshua Sobo l („Ghetto“) hat die Songs in eine Handlung eingebunden: In einer Sperrholz-Kulisse, die ungeheuer kitschig wirkt, erscheinen einem Lebemann und einem Hanswurst die Figuren aus Gebirtigs Welt; singend und tanzend rufen sie die untergegangene Schtetl-Kultur in Erinnerung. Dabei bleibt der Abend über weite Strecken nostalgisch. Lediglich die „blítzpost“, Jiddisch für „E-Mail“, erinnert an die Gegenwart. Von einem wie Sobol hätte man mehr aktuellen Bezug erwartet.

Der Krieg ist ausgebrochen. Die Juden im Schtetl singen ein Trinklied. Ein blinder Seher unterbricht sie mit dem Gebirtig-Klassiker „Undzer schtetl brent“. Die Bedrohung durch die Deutschen rückt näher, Klagelieder berichten davon. Bald verschwinden die Figuren im Rauch. Doch die Katastrophe scheint nicht das Ende zu sein. Versöhnlich zeigt der Lebemann am Ende ins Berliner Publikum: „Da sehe ich einen Juden – und da und da.“

Daniel Völzke

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