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Kultur: Herzensklang

Hilary Hahn & Natalie Zhu im Kammermusiksaal

Synchronschwimmerinnen können es nicht besser. Wenn die amerikanische Geigerin Hilary Hahn und Natalie Zhu, ihre chinesische Klavierpartnerin, das Podium des Berliner Kammermusiksaals betreten, dann tun sie es im Gleichschritt. Wenn sie sich verbeugen, dann, Rücken für Rücken, im perfekten 45-Grad-Winkel. Und wenn sie sich umdrehen, um sich für die Ovationen auch aus den Blöcken C bis H zu bedanken, dann genügt zur Verständigung ein Augenzwinkern.

Zwei Virtuosinnen, die miteinander atmen, denken, reden, empfinden, fremde Länder entdecken. Die rechtmäßigen Ur- Enkelinnen – großes Wort! – so legendärer Paarungen wie Claudio Arrau/Joseph Szigeti oder Clara Haskil/Arthur Grumiaux. Zwei Musikerinnen, die durch Können verzaubern und die in ihren züchtigen langen Röcken, hinter ihren konzentrierten Kindermienen das Geheimnis am Ende doch wieder mitnehmen. Dieser, jawohl, große Ton, der nie nur um seiner selbst willen klingt; eine Dynamik, die sich restlos alles leistet; Farben, die tausendundeine Nuancen kennen. Zwei Meerjungfrauen und ihre schwindelerregend hohe, einsame Kunst.

Dabei sind Hahn und Zhu keine Pathetikerinnen. Das Atemberaubende ihres Spiels besteht in seiner Unscheinbarkeit. Innen, von innen heraus aber brodelt’s, leuchtet’s und quillt’s. So nehmen sie sich auch bei Mozarts G-Dur-Sonate vor, ganz auf Substanz zu gehen und jedes Rokokoschößchen zu meiden. Prompt agiert Hahns Bogen hier mit zu viel Druck, wird die Klanglichkeit eine Spur fester, sachlicher als nötig (da mag das Rondo des zweiten Satzes noch so hingebungsvoll im Dreier schrammeln). Beethovens Es-Dur-Sonate op. 12 hingegen profitiert von jener Lust am Ernst: mit brennendem Theaterfuror im Kopfsatz, voller ergreifender, Schubert’scher Liedhaftigkeit im Adagio.

Solche Schlichtheit, so viel Innenschau und Mut zur Entblößung muss man erst einmal wagen. Dass eben dies eine von Hahns Tugenden ist, demonstrierte gleich zu Beginn Eugène Ysayes erste Solo-Sonate. Hellste, klarste Gedankenmusik aus dem Geiste Bachs, in der die 25-Jährige mit enormer mentaler Stärke und nachtwandlerischer Technik ein Seelenfenster nach dem anderen aufstößt. Herrlich auch der Kontrast zu Georges Enescus dritter Sonate für Violine und Klavier, die jenseits alles bloß Folkloristischen mit auskomponierten Schluchzern, klagenden Flageoletts, akkordeonhaften Doppelgriffen und schreienden Dissonanzen das ganze Vokabular des Balkans auffährt. Nie schlagen Hahn und Zhu hier über die Stränge. Erst die Contenance, sagen sie, macht dieses musikalische Sentiment wahrhaftig. Als Zugabe dann noch ein letzter Tango. Melancholie gewordenes Schmachten. Herzergreifend.

Christine Lemke-Matwey

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