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Kultur: Heute schon gelacht?

Alaaf und Helau – es geht wieder los. Dabei wird den Deutschen nachgesagt, sie hätten keinen Humor. Aber das stimmt gar nicht

Als der holländische Showmaster Rudi Carrell sein letztes Interview gab, sagte er: „Die Deutschen lachen gern.“ Diese Minderheitsmeinung hat Rudi Carrell jahrzehntelang vertreten. Dass die Deutschen keinen oder nur einen schwach entwickelten Humor besäßen, hört man immer wieder, weltweit. Auch Goethe war dieser Ansicht. Aber es stimmt trotzdem nicht. Es ist ein Klischee. Dieses Klischee wird auch von vielen Deutschen unermüdlich verbreitet, vielleicht wegen unseres schwach entwickelten Selbstbewusstseins und wegen des Dranges der meisten deutschen Intellektuellen zu Tiefe und Besinnlichkeit. Humor gilt in Deutschlands führenden Kreisen oft als minderwertig. Es gibt ihn aber, es gibt ihn massenhaft.

In Deutschland feiert man ein mehrtägiges Volksfest, das hauptsächlich dem Lachen gewidmet ist, nämlich den Karneval. In Brasilien ist Karneval eine große Party, in Venedig ein großer Maskenball. In Deutschland sitzen die Leute in Sälen und hören sich lustige Vorträge an, oder sie betrachten Umzüge mit lustigen Motivwagen. Karnevalshumor ist oft zotig oder einfach nur schlecht. Das stimmt. Volkstümliches hat nicht immer Niveau. Ist es anderswo wirklich besser?

Beim Humor ist fast alles Geschmackssache, aber ein paar Regeln gibt es schon. Humor macht das Große klein und das Kleine groß. Die scheinbar unwichtigen Probleme des Alltags werden in der Humorproduktion sehr wichtig genommen, die mit Pathos besetzten Themen und die bedeutenden Menschen schrumpfen in der Humorproduktion auf Zwergenmaß. Außerdem bringen lustige Texte meistens zwei Dinge miteinander in Verbindung, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Damit es funktioniert, muss die Verbindung plausibel wirken, sie darf nicht willkürlich sein. Das ist die Kunst.

Die wichtigste aller Regeln lautet: Humor ist ernst. Fast alle Humoristen sind ernsthafte Menschen, viele haben im Leben Pech gehabt, manche sind sogar depressiv. Humor ist Katharsis, er macht das Schwere leicht. Deswegen sind ausgerechnet die ernsthaften Themen für humoristische Behandlung besonders dankbar. Eine Beerdigung, eine Krankheit oder eine ärgerliche Panne sind besserer Komödienstoff als eine fröhliche Geburtstagsparty. Der Untergang der DDR, die Nazizeit und die Kriege der letzten Jahrzehnte haben einige sehr lustige Filme angeregt. Eine gelungene Liebesgeschichte ist gut für eine Schnulze. Eine misslungene ist gut für eine Komödie.

Manche Vorfälle bringen Leute von ganz alleine zum Lachen, etwa der berühmte Mann, der auf der Bananenschale ausrutscht und damit die Schadenfreude hervorkitzelt. So etwas wirkt aus sich heraus, es braucht keinen Humoristen. Ein Albtraum für jeden Humorproduzenten ist deshalb ein Auftraggeber, der sagt: „Schreib uns etwas Lustiges über den Mann, der auf der Bananenschale ausrutscht.“

Man könnte über komische deutsche Schriftsteller schreiben, von Ringelnatz bis Robert Gernhardt, über Filmkomiker wie Heinz Rühmann oder Bully Herwig, über Zeichner von Wilhelm Busch bis Walter Moers, über Fernsehcharaktere wie Harald Schmidt und Hape Kerkeling, über Musikclowns wie Insterburg und Co., Ulrich Roski und die Rodgau Monotones, über Filmkomödien von May Spills und Frank Beyer. Man kann sogar das Komische aus den scheinbar so ernsten Romanen von Wilhelm Genazino und den Stücken von Bert Brecht herausdestillieren. Anschließend kann man versuchen, immer noch zu behaupten: Die Deutschen haben keinen Humor.

Ein Genre ist über die letzten Jahrzehnte hinweg in Deutschland besonders gediehen, der Sketch, das kleine humoristische Stück, gespielt und abgefilmt.

Karl Valentin, geboren 1882, gestorben 1948, hat die womöglich typische Biografie eines Humoristen. Alle seine Geschwister, es sind drei, sterben früh. Die Schule erlebt er als „Zuchthaus“. Nach dem frühen Tod des Vaters übernimmt er dessen Firma, eine Spedition, und führt sie in den ersten Bankrott seines Lebens. Weitere Bankrotte werden folgen.

Valentin leidet unter Asthma und seinem grotesk dürren Körper. Diesen Körper macht er, zusammen mit der Sprache, zum Werkzeug seiner Komik. Auch als erfolgreicher Komiker bleibt er scheu, gepeinigt von Ängsten und Phobien, darunter einer Einbrecher- und einer Zugphobie, er ist ein Hypochonder, der im Laufe seines Lebens fast 90 Ärzte beschäftigt.

Einige von Valentins Sätzen sind Klassiker geworden: Eigentlich ist schon alles gesagt worden. Aber noch nicht von allen. Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.

Dieser Humor steht in der Tradition des Dadaismus. Der winterfeste, mit Hasenfell ummantelte Zahnstocher, den Valentin entworfen hat, schlägt eine Brücke zum Surrealismus. Oft wird Valentin als Vollbayer verbucht, allerdings hat er zwei Jugendjahre in Zittau, Sachsen, verbracht. Das Gefühl, sprachlich nicht zu Hause zu sein, einen von seiner Umwelt als lächerlich empfundenen Dialekt zu sprechen, hat Valentins Sprachwitz vermutlich die verzweifelte Note gegeben, den letzten Schliff.

Er inszeniert sich als einen, der nicht verstanden wird und nicht versteht. Bei Valentin ist die Welt unbrauchbar, weil die Gegenstände ein eigenes Leben führen und sich gegen die Menschen auflehnen. In einem seiner klassischen Sketche beginnen in einem Konzert die Notenständer, sich zu drehen, sie zwingen die Musiker zu einem absurden Tanz. Es wird nicht klar, warum die Notenständer so etwas tun.

Bertolt Brecht, der mit Valentin befreundet war, hat ihm in eines seiner Programmhefte geschrieben: „Es ist nicht einzusehen, inwiefern Karl Valentin dem großen Charlie Chaplin nicht gleichgestellt werden sollte, es sein denn, man lege allzu viel Gewicht darauf, dass er Deutscher ist."

Valentin stirbt einen grotesken Tod, weil er nach einer Vorstellung versehentlich im Theater eingeschlossen wird. In dieser Nacht holt er sich eine Lungenentzündung. Er erliegt ihr am Rosenmontag.

Heinz Erhardt, geboren 1909, gestorben 1979, wächst unter der Minderheit der Deutschbalten auf, sein Vater ist Kapellmeister in Riga. Das berufliche Scheitern, das Leiden am eigenen Körper, die Lust am Wortspiel, an der Verdrehung, das lustvolle Auskosten der eigenen Lebensniederlagen, all das haben Erhardt und Valentin gemeinsam. Erhardt leidet unter den damals noch recht unüblichen Scheidungen seiner Eltern – beide heiraten dreimal –, er fällt durchs Abitur und wird zu einer kaufmännischen Ausbildung gezwungen, er selbst wollte Pianist werden. „Man reichte mich ständig herum“, schreibt er über seine Jugend. „Ich war ein harmloser Langweiler, mit Hemmungen bis unter die Hutschnur.“ Zeitlebens schafft Erhardt es nicht, schwimmen zu lernen, er ist dick und fast blind, seine Physis so schwach, dass nicht einmal die Nazis ihn als Soldat haben wollen. Den Krieg verbringt er als Klavierspieler in der Truppenbetreuung.

In den 50er und 60er Jahren ist Erhardt auf die Rolle des gutmütigen, verwirrten Familienvaters abonniert. In Dutzenden von Filmen spielt er den Gegenentwurf zum kriegerischen Männerideal der Hitlerjahre, trottelig, aber lieb, nicht sexy, aber anhänglich, und vor allem lustig. Er versöhnt das deutsche Publikum ein wenig mit der unheroischen Verliererrolle des eigenen Landes. Seinem runden Leib sind die Tröstungen des Wirtschaftswunders anzusehen. Wie Heinz Rühmann spielt er den Kindmann, nur in groß. Bei Rühmann ist der Kindmann erotisch. Rühmann, kein Komiker, sondern ein Komödiant, bekommt am Ende die schönen Frauen, im Film wie im Leben. Heinz Erhardt aber will immer nur heim zu Mutti, seine Ruhe haben und gut essen. Auch sein Humor bleibt meistens schlicht, bescheiden und liebenswert. Bei seinen Auftritten soll er, so wird hartnäckig berichtet, eine Brille mit Fensterglas getragen haben, um das Publikum nicht sehen zu müssen, eine Maßnahme gegen sein extremes Lampenfieber. Außerdem pflegte er sich vor Auftritten mit einigen Schnäpsen zu beruhigen, eine Gewohnheit, die er vor seiner Frau geheim hielt. Dass der Komiker meist ein unsicherer oder unglücklicher Mensch ist, der im Humor ein Mittel findet, seine Ängste in Schach zu halten, gilt ebenfalls als Klischee. Aber für dieses Klischee liefert die Wirklichkeit doch einige Bestätigungen – zum Beispiel die beiden erfolgreichsten komischen Deutschen auf den Bühnen der 30er bis 60er Jahre.

Es hängt auch mit den Erwartungen des Publikums zusammen. Das Publikum möchte, wie der Komiker, seine Ängste und Unzulänglichkeiten besiegen, indem es lacht. Der ideale Komiker sieht deshalb wie ein Verlierer aus, aber nicht wie ein hoffnungsloser Fall. Als hoffnungsloser Fall wäre er nämlich tragisch. Die Deutschen aber hatten sich jahrzehntelang in der Welt so penetrant um die Rolle des Siegers beworben, dass bis vor kurzem kaum jemand bereit war, ihnen die komische Rolle des freiwilligen Verlierers abzunehmen.

Heinz Erhardt kann, nach einem Schlaganfall, ab 1971 nicht mehr auftreten. Fast nahtlos schlüpft Otto Waalkes in seine öffentliche Rolle. Waalkes, Jahrgang 1948, tritt 1972 zum ersten Mal vor großem Publikum auf, im Audimax der Hamburger Uni, das er selber gemietet hat. Waalkes bekennt sich zu Erhardt als Vorbild, bis zum Ende der 80er Jahre bleibt er der erfolgreichste komische Deutsche, mit Vico von Bülow alias Loriot als wichtigstem Rivalen, auf den nächsten Plätzen folgen Didi Hallervorden und Harald Juhnke im Duett mit Eddi Arent. Heinz Erhardt trat allerdings als Ehemann und Vater vors Publikum, Otto spielt das Kind. Seine Texte liefern ihm meist Mitglieder der „Neuen Frankfurter Schule“ des Humors, deren Zentralorgan die Zeitschrift „Pardon“ ist, später „Titanic“, einer seiner wichtigsten Texter wird der Lyriker Robert Gernhardt.

Anders als Erhardt oder Valentin blickt Waalkes auf eine Kindheit ohne private oder politische Katastrophen zurück. „Ich bin in einer heilen Welt aufgewachsen“, sagt er selbst. Es ist die Welt der norddeutschen Hafenstadt Emden, Wirtschaftswunder mit Sonntagsschule, Gymnasium und Abitur. Das Verhältnis zu den Eltern ist unproblematisch. Otto studiert in Hamburg ein paar Semester Kunstgeschichte und Pädagogik, dann wird er Komiker. Bereits in Emden hat er die Rolle des Klassenclowns gespielt, eine Rolle, die er nie wieder ablegt, bis heute, obwohl sie für einen fast 60-Jährigen immer schwieriger zu spielen ist und den Preis kostet, auf immer größere Teile des Publikums peinlich zu wirken. Otto ist kein Kindmann, er bleibt einfach Kind. Noch in aktuellen Interviews äußert er den Wunsch, „immer der Jüngste zu sein“, zumindest geistig, und die Angst, „die Unschuld zu verlieren“.

Obwohl der Zeitgeist in den Jahren seines Aufstiegs heftig von links weht, politisiert sich Otto höchstens ansatzweise, zumindest auf den ersten Blick. Seine Spezialität bleiben der Kalauer und das Alberne. Weder sind seine Texte so literarisch wie die von Valentin (seine besten Ideen behält Ottos Ghostwriter Robert Gernhardt verständlicherweise für sich selbst), noch wirkt Otto als Bühnenfigur so hilflos, unsicher und melancholisch wie Erhardt, der Nachkriegsdeutsche. Stattdessen schneidet Otto Grimassen, zeichnet, zupft auf der Gitarre und ist auf der Bühne ständig in Bewegung, körperlicher Einsatz, wie ihn weder Karl Valentin noch Heinz Erhardt brauchten. Die Kunstfigur Otto, deren Schnittmenge mit der realen Person Otto Waalkes relativ groß zu sein scheint, gibt sich manchmal so, wie Kinder eben manchmal sind: anarchistisch und aggressiv. In einem seiner Filme tritt Otto als Kasper im Altenheim auf, er fragt: „Seid ihr alle da?“, die weißhaarige Gemeinschaft antwortet: „ja“, Otto ruft: „Aber nicht mehr lange!“ und hüpft hinaus. Otto, das Kind, ist bei aller scheinbaren Unschuld selbstbewusst und ichbezogen, er beharrt auf dem Lustprinzip und dem Vorrecht der Jugend, er will, nervös und ungeduldig, alles sofort. Insofern ist auch der unpolitische Otto ein Achtundsechziger.

Ottos erfolgreichstes Jahrzehnt waren die Achtziger, sein wichtigstes Podium noch die großen Hallen und die Kinos. Danach beginnt die Zeit der Fernsehcomedians. Deutscher Humor wird jetzt in großen Stückzahlen hergestellt, aber unter all den Dittrichs, Mittermeiers, Pastewkas, Pochers, Kerkelings und Gaby Deckers erobert sich keiner mehr eine so dominante Position, wie Otto sie lange hatte, auch Anke Engelke nicht. Trotzdem ist Engelke, geboren 1965, in den letzten Jahren wahrscheinlich die wichtigste deutsche Komikerin gewesen, natürlich auch deshalb, weil sie die erste Frau ist, die in diesem Genre ganz vorn steht.

Die meisten Comedians stellen keine feste, klar definierte Kunstfigur mehr dar. Otto ist immer Otto, Heinz Erhardt war immer Heinz Erhardt. Bastian Pastewka, Olli Dittrich oder Hape Kerkeling sind Schauspieler, die überzeugend in die verschiedensten Rollen schlüpfen. Aus Selbstdarstellern sind Humorproduzenten geworden. Sogar Harald Schmidt, der nicht in diese Reihe passt, weil er eher ein Entertainer ist als ein Komiker, lässt sich nicht auf eine Charakterrolle festlegen. Unmöglich zu sagen, wer Schmidt ist oder für was er steht, außer für das Chamäleonhafte. Das, was der Arbeitsmarkt verlangt – Flexibilität, Bindungslosigkeit, bloß nicht zu viele Prinzipien, biegsamer Charakter – spielen die Humoristen vor.

Das wandelbarste dieser Chamäleons ist vermutlich Anke Engelke. Auf die Frage, warum bis heute so relativ wenige Komikerinnen bekannt sind, gibt die Humortheorie häufig die Antwort: Komiker müssen den Mut haben, schlecht auszusehen. Komiker stellen sich dümmer und hässlicher, als sie sind. Frauen falle das schwerer. Warum? Dazu gibt es mehrere Theorien. Anke Engelke jedenfalls löst dieses – angebliche oder tatsächliche – Problem, indem sie perfekter als jeder Kollege hinter ihren Rollen verschwindet. Wenige Männer tragen so oft Perücken, falsche Bäuche oder falsche Zähne wie Engelke in ihren Sketchen für die „Wochenshow“ und später für „Ladykracher“. Ohne Maske, zum Beispiel in „Anke Late Night“, wirkt sie tatsächlich weniger komisch. Ob das an ihr liegt oder an uns, dem Publikum, könnte man auch wieder zum Gegenstand einer Humortheorie machen – ebenso wie die Frage, was denn spezifisch deutsch ist an all den deutschen Komikern. Antwort: Das spezifisch Deutsche an den deutschen Komikern besteht vor allem darin, dass es so wahnsinnig viele von ihnen gibt.

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