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Kultur: Hexov

Tschechow

Sie stehen herum und reden und reden und reden, sind ganz hysterisch vor Handlungshemmung und spinnen sich immer mehr ein in diese Drei-Schwestern-Tristesse, die typisch für bleierne Zeiten ist. Tschechows Bühnenfiguren sind melancholische Meisterwerke der Gebrochenheit: „Gebrochene Hoffnungen, gebrochene Herzen, gebrochene Kräfte“, wie Anarcho-Graf Kropotkin, ein Bewunderer nicht nur des Dramatikers, sondern noch mehr des Storytellers Tschechow geschrieben hat. Das „flügellose Leben“, wie es in der Liebesgeschichte „Die Dame mit dem Hündchen“ heißt, ist das Thema schlechthin bei diesem früh vollendeten Präzisionsstilisten. Er hatte nicht viel Zeit. Geboren 1860, im letzten Jahr der Leibeigenschaft in Russland, starb er im Juli 1904 im Schwarzwaldkurort Badenweiler an Tuberkulose, eben dort, wo beinahe auf den Tag genau vier Jahre vorher der amerikanische Geschichtenerzähler Stephen Crane gestorben war.

Tschechows literarische Übergangsfiguren haben keine Morbidezza, das macht sie absolut kitsch- und relativ filmresistent. Sein „Krankensaal Nr. 6“ ist in Technicolor nicht vorstellbar. Außerdem ist Tschechow das Epische fremd. Er fabuliert nicht, er geizt mit Worten, und Geiz ist geil. Seine Muse hält immer Diät. „Aus Gründen, die man jetzt nicht ausführlich darlegen kann, musste ich.…“ – so beginnt die „Erzählung eines Unbekannten“. In Tschechows Geschichten wird nie etwas „ausführlich dargelegt“, in Tschechows Theaterstücken schon. Das hat mit der unterschiedlichen Funktion von „action“ in beiden Genres zu tun. In einem Bühnenstück können die Figuren nicht nach Warschau reisen und dort niedergeschlagen auf dem Sofa liegen wie der Arzt Andrej Efimyc in „Krankensaal Nr.6“. In einem Bühnenstück können die Figuren nur darüber reden, wie es ist, nach Warschau zu reisen und dort niedergeschlagen auf dem Sofa zu liegen. Auch der Tod macht auf der Bühne mehr Umstände als in Erzählungen. „Gegen Abend starb Andrej Efimyc an einem Gehirnschlag.“ So geht das. Kurz und nicht schmerzlos.

Bruno Preisendörfer

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